Podcast
US-Drohnenangriffe vor deutschen Gerichten – mit Prof. Mehrdad Payandeh & Prof. Heiko Sauer

Jurafuchs Podcast #003 | Ist die Bundesregierung verpflichtet, US-Drohneneinsätze im Jemen unter Nutzung der Air Base Ramstein zu verhindern? | BVerwG, Urteil vom 25.11.2020 - 6 C 7.19

Zusammenfassung

Die USA setzen im weltweiten Kampf gegen Terroristen und bewaffnete Gruppierungen auf den Einsatz von unbemannten Kampfdrohnen. Im Jemen sind bei US-Drohnenangriffen in der Vergangenheit immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten zu Tode gekommen. Um ihre unbemannten Kampfdrohnen im Jemen mittels Funksignalen steuern zu können, verwenden die USA eine Satellitenrelaisstation, die auf der US-Luftwaffenbasis im rheinland-pfälzischen Ramstein steht. 

Jemenitische Staatsangehörige - teilweise Angehörige von Menschen, die durch US-Drohnenangriffe ums Leben gekommen sein sollen, - haben Deutschland deshalb verklagt: Deutschland soll sicherstellen, dass die Relaisstation auf der US-Luftwaffenbasis Ramstein nicht für völkerrechtswidrige US-Drohnenangriffe genutzt wird. Am 25.11.2020 hat das Bundesverwaltungsgericht die Klagen jedoch abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte noch zugunsten der Kläger entschieden.

Professor Mehrdad Payandeh, Inhaber des Lehrstuhls Öffentliches Recht II - Internationales Recht, Europarecht und öffentliches Recht an der Bucerius Law School, und Professor Heiko Sauer, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Bonn erläutern die äußerst komplexe und umstrittene Rechtslage im Spannungsfeld von Völker- und Verfassungsrecht. Dabei bekräftigen Payandeh und Sauer ihre Kritik an dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, die sie bereits in einem gemeinsamen Aufsatz vorgebracht haben (Payandeh/Sauer, Staatliche Gewährleistungsverantwortung für den Schutz der Grundrechte und des Völkerrechts, NJW 2021, 1570-1574).

Interview (Transkript)

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Willkommen bei Spruchreif! Dem Rechtssprechungspodcast von Jurafuchs. In Kooperation mit dem Nomos Verlag. Mein Name ist Wendelin Neubert, und zusammen mit meinen Gästen gehe ich dem Kontext und den Hintergründen aktueller Gerichtsentscheidungen auf die Spur. 

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Also, zunächst muss man sagen, dass der Einsatz von bewaffneten Drohnen nicht per se völkerrechtswidrig oder völkerrechtskonform ist, sondern dass das von den konkreten Umständen abhängt. 

PROF. HEIKO SAUER: Hier geht es ja um die Frage der Verteidigung von Menschenleben. Man muss immer wissen, was auf deutschem Staatsgebiet passiert, wenn man einer fremden Macht einräumt, es zu benutzen. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Meine Gäste sind Professor Mehrdad Payandeh und Professor Heiko Sauer. Professor Payandeh ist Inhaber des Lehrstuhls Öffentliches Recht, und zwar Internationales Recht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Bucerius Law School in Hamburg. Professor Sauer ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Bonn. Beide sind ausgewiesene Experten unter anderem im Recht der auswärtigen Beziehungen, über das wir heute diskutieren wollen. Seien Sie herzlich willkommen!

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Vielen Dank!

PROF. HEIKO SAUER: Vielen Dank! Hallo!

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Wir sprechen über die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, gegen möglicherweise völkerrechtswidrige Drohnenangriffe der USA im Jemen vorzugehen. Anlass ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. November 2020. Lieber Herr Professor Sauer, warum werden US-Drohnenangriffe auf Ziele im Jemen vor deutschen Verwaltungsgerichten verhandelt? 

PROF. HEIKO SAUER: Ja, vielen Dank! Also, in der Tat liegt das vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so nahe. Aber es gibt zwei Faktoren, die dazu führen. Zum einen gibt es einen Anknüpfungspunkt dieses sogenannten Drohnenkriegs zur deutschen Rechtsordnung oder genauer gesagt, zum deutschen Territorium, weil es auf der Airbase in Ramstein, die von den US-Amerikanern betrieben wird, eine sogenannte Satelliten-Relaisstation gibt, die eingebunden ist in diesen Drohnenkrieg, indem sie Signale übermittelt. Und das ist wegen der Erdkrümmung notwendig, dass man das nicht einfach von den USA bis nach Jemen direkt überträgt. Der zweite Grund ist, dass die deutsche Rechtsordnung in besonderer Weise völkerrechtsfreundlich ist, das heißt, die Aussicht, dass sich ein deutsches Verwaltungsgericht diesen Rechtsstreit ansieht, ohne von vornherein zu sagen, das sind auswärtige Beziehungen, da habe ich nichts mit zu tun, die ist auch mit Blick auf vorher ergangene Entscheidungen gar nicht so schlecht.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Lieber Herr Payandeh, warum wird das Thema nicht vor US-Gerichten verhandelt?

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Ja, das wäre natürlich noch naheliegender, und das Thema wurde auch vor US-Gerichten verhandelt, also die Klägerinnen und Kläger, jemenitische Staatsangehörige, zum Teil Nachfahren oder Angehörige von getöteten Personen, zum Teil Personen, die im Jemen leben und befürchten, in Zukunft Opfer von Drohnenangriffen zu sein, die haben Klagen vor US-amerikanischen Gerichten erhoben. Die Klagen hatten aber keinen Erfolg, was mit dem Unterschied zwischen der US-amerikanischen Rechtsordnung und der deutschen Rechtsordnung zu tun hat, worauf Heiko Sauer gerade schon hingewiesen hat, dass in den USA bei Gerichten sehr starke Zurückhaltung besteht, sich in außen- und sicherheitspolitische Entscheidungen sowohl des Präsidenten als auch des Kongresses einzumischen, Stichwort: political Question Doctrine. Und mit dem Argument wurden dort bislang auch alle Klagen abgewiesen, zwar zum Teil mit Sondervoten, aber im Ergebnis abgewiesen. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Lieber Herr Sauer, wir merken hier schon, die Fallkonstellation ist nicht nur politisch sehr brisant, sie überspannt verschiedene Rechtsordnungen, sie ist auch rechtlich äußerst anspruchsvoll, hier treffen völkerrechtliche Rechtsnormen und verfassungsrechtliche Vorgaben aufeinander, in welchem Verhältnis stehen nun die anwendbaren Rechtsregime des Völkerrechts und des Verfassungsrechts zueinander? 

PROF. HEIKO SAUER: Ja, das ist gar nicht so einfach zu beantworten, diese Rechtsregime, die interagieren auf eine Weise, denn einerseits öffnet sich die deutsche Rechtsordnung auf eine sehr spezifische und sehr weitgehende Weise völkerrechtlichen Einflüssen, was man etwa daran sieht, dass völkerrechtliche Normen unmittelbar in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden. Und zum anderen ist die deutsche Rechtsordnung spezifisch auf internationale Kooperation angelegt, das heißt, sie ermöglicht eben auch eine besondere internationale Zusammenarbeit, wie man beispielsweise daran sieht, und das ist ja alles andere als selbstverständlich, das eben ein fremder Staat eine militärische Airbase auf deutschem Boden betreibt. Und da gibt es im Grundgesetz, in dem Artikel 24, Absatz zwei, sogar spezifisch eine Ermächtigung dazu, die eigenen Hoheitsrechte zu beschränken, um so was eben zu ermöglichen. Und damit werden in unserem Fall durch eben diese Einbindung der Relaisstation in den Drohnenkrieg auch diese beiden Rechtsregimes, Völkerrecht und Verfassungsrecht, miteinander verschlungen. Natürlich ist das Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten von Amerika erst mal ein völkerrechtliches, und das Verhältnis der jemenitischen Staatsangehörigen zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein völkerrechtliches und eines, was eventuell nach amerikanischem Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Aber durch diese Ermöglichung der Nutzung des deutschen Bodens ist dann eben auch das deutsche Verfassungsrecht in den Fall eingewoben und natürlich auch das deutsche Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Lieber Herr Payandeh, vielleicht gehen wir mal ein Stück zurück. Wir haben jetzt also diese Drohnenangriffe. Es gibt den War on Terror, es gibt verschiedene Orte, an denen die USA bewaffnete Kampfdrohnen einsetzen, um gegen Aufständische oder vermeintliche oder tatsächliche Terroristen vorzugehen, also der tatsächliche Ausgangspunkt dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sind diese Luftschläge, die die USA eben auch in Jemen mit diesen Drohnen, den unbemannten Luftfahrzeugen durchführen. Auch in Deutschland gibt es eine hitzige Debatte über die Bewaffnung der Bundeswehr mit solchen Kampfdrohnen, jetzt stellt sich ja die Frage: Sind diese Drohnen denn völkerrechtlich verboten?

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Genau, also damit betreten wir die völkerrechtliche Ebene, die, wie Heiko Sauer schon dargelegt hat, eng mit der national verfassungsrechlichen, verwaltungsrechtlichen verwoben ist, die man aber natürlich erst mal separat von der nationalen beurteilen kann. Es wäre schön, wenn man die Frage, die Sie gestellt haben, jetzt mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein beantworten könnte, aber so ist es leider, wie so oft, nicht. Also zunächst muss man sagen, dass der Einsatz von bewaffneten Drohnen nicht per se völkerrechtswidrig oder völkerrechtskonform ist, sondern dass das von den konkreten Umständen abhängt. Wenn wir uns die Fallkonstellation jetzt anschauen, das sieht man auch an den Entscheidungen vom Verwaltungsgericht über das Oberverwaltungsgericht Münster bis zum Bundesverwaltungsgericht, dann gibt es hier eine Vielzahl von völkerrechtlichen Fragen. Ich kann mal versuchen, das so ein bisschen abzuschichten, damit wir so ein bisschen wissen, worüber hier eigentlich diskutiert wird, ohne Anspruch, das jetzt wirklich bis ins letzte Detail auszubuchstabieren. Man muss zunächst mal zwei Fragen unterscheiden: Wenn ein Staat mit militärischen Mitteln, und seien es auch nur, in Anführungszeichen, unbemannte bewaffnete Drohnen, auf dem Territorium eines anderen Staates agiert, ist es erst einmal eine Frage des Gewaltverbots des Artikels zwei vier der UN-Charta, des sogenannten ius ad bellum. Also: Haben die USA das Recht, hier militärisch tätig zu werden? Die Frage stand nicht im Mittelpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, und zwar deshalb, weil davon ausgegangen wird, dass es hier ein Einverständnis der jemenitischen Regierung gibt. Im Vordergrund steht vielmehr die konkrete Frage der Rechtmäßigkeit, der Völkerrechtsmäßigkeit der Tötung von einzelnen Menschen durch diese Drohnen. Und auch hier ist schon die Frage, welches Rechtsregime eigentlich Anwendung findet. Wir haben die allgemeinen Menschenrechte, wie sie in verschienden Pakten verankert sind, die auch die Bundesrepublik und auch die USA binden. Und die zweite Frage wäre auch: Gelten die Menschenrechte denn im Rahmen eines bewaffneten Konflikts, wie wir ihn im Rahmen des Jemens haben? Und dadurch verlagert sich die ganze Frage auch ein bisschen weg von den allgemeinen Menschenrechten hin zum sogenannten humanitären Völkerrecht, dem Recht des bewaffneten Konflikts. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Für diejenigen, die sich nicht so gut im Völkerrecht auskennen: Was ist denn das Recht des bewaffneten Konflikts? Wann kommt es zur Anwendung und was beinhaltet es?

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Das sind die sogenannten Genfer Konventionen. Deren Anwendbarkeit setzt voraus, dass wir hier einen bewaffneten Konflikt haben. Der War on Terror, Sie haben es schon zitiert, der reicht nicht aus. Das war auch so eine Position, die zum Teil vertreten wurde, dass die USA sagen: Wir befinden uns weltweit, global in einem Kampf gegen Terroristen, und daher gilt, in Anführungszeichen, nur das humanitäre Völkerrecht. Das wird so universell nicht geteilt. Man braucht dann schon einen bewaffneten Konflikt, hier kann man davon ausgehen, dass wir, zumindest für einen Großteil der Zeit, über die wir reden, ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt besteht.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Zur Einordnung: Das Recht der bewaffneten Konflikte unterscheidet internationale bewaffnete Konflikte und nicht internationale bewaffnete Konflikte. Ganz knapp gesprochen, ein internationaler bewaffneter Konflikt ist eine Auseinandersetzung zwischen Staaten. Ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt ist eine innerstaatliche Gewaltanwendung, die zwischen verschiedenen Gruppierungen über eine gewisse Dauer mit einiger Intensität ausgetragen wird. Also klassischerweise ein Bürgerkrieg. Beide Arten von Konflikten unterliegen ähnlichen, aber nicht identischen Regeln. 

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Genau. Die Unterscheidung, internationaler, nicht internationaler bewaffneter Konflikt ist auch wichtig für die Frage, welches Recht konkret Anwendung findet. Beim nicht internationalen bewaffneten Konflikt findet vor allen Dingen das zweite Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen eine Anwendung. Die USA haben das nicht ratifiziert, die kann man also nicht unmittelbar daran festhalten, aber es gibt hier auch gewohnheitsrechtliche Rechtssätze, es gibt hier in den vier Genfer Konventionen Minimalanforderungen, und das, letzter Punkt, kann man vielleicht auf den Punkt bringen: Es gibt ein generelles Gebot, dass Zivilisten nicht attackiert werden dürfen. Es gibt das generelle Unterscheidungsgebot. Klar ist, dass in militärischen Auseinandersetzungen Zivilisten auch zu Schaden kommen können, aber die kriegführenden, die Konfliktparteien müssen sozusagen Rücksicht nehmen auf Zivilisten, müssen Verhältnismäßigkeit wahren, vor allem eben Zivilisten schonen. Und das ist genau die Frage, die hier im Raum steht: Ob das die USA bei jedem der Drohnenangriffe, mit denen sie auf Terroristenjagd gehen, dabei aber auch Kollateralschäden nach sich ziehen, Zivilisten töten, ob sie diesen Grundsätzen immer gerecht geworden sind. Wir sehen, die Rechtslage ist kompliziert, und das zeigt auch so ein bisschen oder ist auch ein bisschen der Grund, warum die Verwaltungsgerichte sich vielleicht nicht so uneingeschränkt erfreut auf diese Fragen eingelassen haben.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Gut, diese Fragen sind eben kein Glasperlenspiel. Die sind superrelevant, da geht es um Menschenleben, da geht es um Leben und Tod. Und sie sind eben auch Tatsachenfragen. Sie haben eben beschrieben, das ist rechtlich komplex und das leistet sich in der Tatsachendimension wahnsinnig schwierig, weil in der Regel niemand vor Ort ist, der das genau beurteilen kann, es gibt unterschiedliche Darstellungen und selbst die USA sind wenig bereit, die Entscheidungskriterien über diese Luftangriffe oder das Erfolgen dieser Luftangriffe zu dokumentieren und das mit der Öffentlichkeit zu teilen. Also: rechtlich schwierig, tatsächlich schwierig, jetzt nehmen wir das mal als Ausgangspunkt. Wir haben also eine umstrittene Rechtslage, aber es ist, so habe ich Sie verstanden, Herr Payandeh, es ist gesichert, dass zumindest auch Zivilisten bei diesen Luftangriffen zu Tode kommen. Und es ist immer dann die Frage im Einzelfall: Ist dieser Luftangriff exzessiv gewesen? War die Tötung von Zivilisten also noch völkerrechtskonform oder schon völkerrechtswidrig? Also eine sehr schwierige Bewertung im Einzelfall. Jetzt haben wir diese völkerrechtliche Lage einigermaßen erst mal in den Griff bekommen, jetzt kommen wir zurück zu der Entscheidung, Sie hatten es beschrieben, warum wir hier einen Anknüpfungspunkt haben zum deutschen Recht, diesen hoheitlichen Bezug zu der Luftwaffenbasis in Ramstein. Und Kernstück der Entscheidung ist damit, Herr Sauer, wieweit kann Deutschland dazu verpflichtet sein, die Kläger, also die jemenitischen Staatsangehörigen zu schützen, die von diesen über Deutschland gesteuerten Drohneneinsätzen betroffen sein könnten. Warum sollte jetzt Deutschland rechtlich verpflichtet sein, die Bürger eines anderen Staates vor den möglicherweise völkerrechtswidrigen Taten noch mal eines dritten Staates zu schützen? 

PROF. HEIKO SAUER: Ja, Sie haben ja schon ganz richtig angesprochen, dass wir es hier mit einer Dreieckskonstellation zu tun haben. Die ist zwar hier sehr besonders, die kennen wir im öffentlichen Recht aber sonst auch. Ich kann auf der Basis der polizeilichen Generalklausel einen Anspruch haben, dass die Polizei gegen einen Dritten einschreitet, der meine Rechtsgüter gefährdet. Das heißt, die Grundkonstellation ist eigentlich bekannt. Und die Besonderheit, um die es hier eben geht, ist, dass die Berechtigten ausländische Staatsangehörige sind, das ist hier am Ende aber nicht so pro problematisch, weil die extraterritoriale Dimension der deutschen Grundrechte zunehmend anerkannt ist und jetzt vom Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Ausland-Ausland-Überwachung des Bundesnachrichtendiensts auch noch mal sehr klar herausgestellt und gestärkt worden ist. Das heißt, über die Frage, können sich jetzt die jemenitischen Staatsangehörigen überhaupt auf Rechtspositionen berufen, die sie aus der deutschen Rechtsordnung entnehmen können, die können wir eigentlich klar mit: Grundsätzlich geht das. beantworten. Das hat auch das Bundesverwaltungsgericht nicht bestritten. Und dann ist die Frage natürlich: Gibt es jetzt aus den deutschen Grundrechten, also geltend gemacht werden hier Ansprüche aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Artikel zwei, Absatz zwei, Satz eins des Grundgesetzes, können sich daraus jetzt Ansprüche nicht nur gegen Deutschland ergeben, eventuelle Gefährdungen zu unterlassen, und darum geht es ja nicht, weil es nicht die Bundeswehr ist, die diese Luftschläge führt, sondern kann es hier einen Anspruch auf Einschreiten gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika geben. Und hier muss man so rechtspolitisch natürlich sehen, dass es unbequem ist, solche Ansprüche anzunehmen, weil natürlich die Bundesregierung nicht besonders gerne sich rechtlich verpflichten lassen wird, in einer außen- und sicherheitspolitisch heiklen Konstellation einzuschreiten. Das vielleicht vorausgeschickt. Solche Ansprüche aus den deutschen Grundrechten können sich aber trotzdem ergeben, und ich glaube, dass man hier vielleicht drei grundsätzliche Konstellationen auseinanderhalten sollte, die ich versuchen würde, unter drei Stichwörtern ganz kurz zu skizzieren. Das erste Stichwort ist Subjektivierung, das zweite Stichwort ist Eingriff und das dritte Stichwort ist Schutzpflicht. Zum ersten Stichwort: Es wird davon ausgegangen, insbesondere prominent auch in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es einen sogenannten Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit gibt. Und ein Element dieser Völkerrechtsfreundlichkeit ist, dass deutsche Staatsorgane dazu verpflichtet sind, Völkerrechtsverletzungen anderer Staaten, die von deutschem Boden ausgehen, zu verhindern. Erstaunlicherweise haben sich die Verwaltungsgerichte mit dieser in der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts eigentlich anerkannten Wirkungsdimension der Völkerrechtsfreundlichkeit eigentlich überhaupt nicht beschäftigt. Wenn man also versuchen würde, von diesem Ansatz aus zu kommen, ist die entscheidende Frage natürlich: Ist es am Ende völkerrechtskonform oder völkerrechtswidrig, sodass ich einschreiten müsste. Und wenn ich dann objektiv zum Einschreiten verpflichtet wäre, könnte ich mir das Grundrecht nehmen und sagen: Dieses Grundrecht subjetiviert diese objektiv rechtliche Pflicht.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Verstanden. Und wie steht es um den zweiten Punkt, Stichwort Grundrechtseingriff? 

PROF. HEIKO SAUER: Die erste Frage ist: Kann ich davon ausgehen, dass ich den Grundrechtseingriff, den sozusagen prinzipiell ja die US-amerikanische Seite begeht, die aber selbst nicht an die deutschen Grundrechte gebunden ist, kann ich den irgendwie zurechnen als Eingriff der deutschen Seite, sei es in einer mittäterschaftlichen, strafrechtlich gesprochen, sei es in einer Beihilfekonstruktion? Und hier wird man aber wohl sagen können, dass die eigene Zurechnung nicht angenommen werden kann, weil es sozusagen an einem zurechnungsbegründenden Zusammenhang fehlt. Denn die deutsche Seite hat weder genaue Kenntnis über die einzelne (?Drohnenseite) noch hat sie den Anspruch der US-amerikanischen Seite, darüber informiert zu werden, noch entscheidet sie in irgendeiner Weise mit im Bereich der Zielauswahl oder der Verhältnismäßigkeit. Das heißt, zurechnungsbegründend, sodass man sagt: Na ja, der einzelne Luftschlag muss auch angesehen werden als Luftschlag der Bundesrepublik Deutschland, das würde aus meiner Sicht nicht ausreichen für eine Zurechnung. Für unvertretbar hielte ich das nicht, aber ich kann hier den Verwaltungsgerichten in der Annahme, dass es ein bisschen dünn ist, um so eine Zurechnung anzunehmen, grundsätzlich folgen. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Steigen wir doch vielleicht mal um auf das Pferd der Schutzpflichten, eine superspannende verfassungsrechtliche Struktur, das Tätigwerden des Staates zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, der Grundrechtsträger, vor den Eingriffen anderer, vor den Beschränkungen anderer. Wie steht es hiermit?

PROF. HEIKO SAUER: Ja, es gibt zwei Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen: Zum einen, welche Anforderungen stellt man auf, um von einer etwaigen Schutzpflicht überhaupt auszugehen? Wenn das der Fall ist, ist natürlich die zweite Frage: Was muss ich denn tun, um meiner Schutzpflicht gerecht zu werden? Und hier hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das Sie, Herr Neubert, ja eingangs angesprochen hatten, hat eben zum einen gesagt, dass es davon ausgeht, dass gar keine Schutzpflicht entstanden ist. Und auf einem zweiten Fuß gesagt: Aber selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass eine Schutzpflicht entstanden wäre, dann sind sie auch der Auffassung, dass sie erfüllt wäre. Und hier sind wir der Auffassung, dass eigentlich beide Schlüsse des Bundesverwaltungsgerichts zu eng sind. Denn zum einen werden sozusagen für die Existenz der Schutzpflicht in zweierlei Hinsicht relativ hohe Hürden gelegt. Zum einen sagt das Bundesverwaltungsgericht, der mitursächliche Beitrag der deutschen Rechtsordnung ist zu klein, indem man nämlich sagt: Na ja, da ist diese Satelliten-Relaisstation, die technische Signale übermittelt. Es findet aber auf deutschem Boden keine Zielauswahl statt, das heißt, das Handeln, wenn man so will, was auf deutschem Boden ist, das hat keinen Entscheidungscharakter. Und das zweite, was gesagt wird, ist, es bedürfte sozusagen einer strukturell völkerrechtswidrigen Vorgehensweise im Jemen, und die ist nicht etabliert. Und zum zweiten würden wir eben denken, na ja, wenn es eine grundrechtliche Gefährdungslage gibt und es nicht nur eine völlig abstrakte Gefahr, da könnte irgendwann auch mal was Völkerrechtswidriges passieren, das wird sicherlich nicht reichen. Aber wenn man tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, dass in diesen Luftschlägen, die im Jemen ja immer wieder passiert sind, dass es mit dem humanitären Völkerrecht beispielsweise nicht immer so genau genommen worden ist, dann müsste das eigentlich für die Entstehung einer Schutzpflicht auch reichen. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Welche Rolle spielt denn hier die Tatsache, dass Deutschland den USA erlaubt hat, das deutsche Hoheitsgebiet für diese Satelliten-Relaisstation in Ramstein zu nutzen?

PROF. HEIKO SAUER: Der Artikel 24 zwei, den ich ja eingangs schon mal genannt hatte, der eine Ermächtigung erteilt, Hoheitsrechte zu beschränken im Kontext der Einordnung Deutschlands in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit, wie die NATO eines ist, der führt ja dazu, dass ich einem fremden Staat erlaube, von meinem Territorium aus etwas zu machen. Oder jedenfalls ermögliche ich es. Es ist nicht so, dass die amerikanische Seite jetzt bei jedem Angriff vorher fragt: Darf ich dieses Signal für diesen Luftschlag übermitteln? Aber es ist immerhin so, dass die Bundesregierung im Jahr 2011 die Errichtung dieser Satelliten-Relaisstation in Kenntnis ihrer Funktion gebilligt hat. Und das ist doch etwas, was sozusagen strafrechtlich gesprochen ziemlich klar wie eine Garantenposition aussieht, dass man sagt: Na ja, wenn ich denen das erlaube, wozu ich völkerrechtlich nicht verpflichtet bin unbedingt, dann kann ich doch auch nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, na ja, wenn da nur Signale übermittelt werden, dann reicht das sozusagen für meine Garantenstellung im Sinne meiner grundrechtlichen Schutzpflicht eigentlich nicht aus. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Das ist dieser Gedanke, den Sie, glaube ich, auch in Ihrem Aufsatz formuliert haben: Wenn deutsche Staatsgewalt von Verfassung wegen solche Maßnahmen nicht vornehmen darf, dann darf sie auch die Nutzung ihres Staatsgebiets für entsprechende Handlungen einem anderen Staat nicht ohne Weiteres gestatten.

PROF. HEIKO SAUER: Nicht ohne Weiteres, genau, das würden wir eben sagen.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Jetzt hatten wir im Eingang ja mitbekommen und diskutiert, es ist extrem schwer, völkerrechtlich diese Fragen zu bewerten im Einzelfall, und die Entstehung der Schutzpflicht hängt ja mit davon ab, wie bewerte ich jetzt eigentlich dieses Handeln? Wie gehen wir damit um? Da gibt es ja zwei Ansätze: Das Bundesverwaltungsgericht sagt, sie haben es ja gerade beschrieben, es muss einen strukturellen Völkerrechtsverstoß geben. Und das Oberverwaltungsgericht geht einen Schritt zurück und sagt: In der Vergangenheit gab es diese Luftschläge, es muss also möglich sein, erwartbar sein, dass das auch in der Zukunft eintritt. Wer hat denn jetzt recht?

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Das Bundesverwaltungsgericht sagt jetzt sehr deutlich, dass die Bundesregierung hier einen Einschätzungsspielraum hat, und zwar keinen Einschätzungsspielraum, der sich auf politische Handlungsmöglichkeiten bezieht, sondern auf die Frage der Völkerrechtskonformität. Also die Frage, ob diese Drohnenangriffe völkerrechtskonform sind oder nicht. Das Bundesverwaltungsgericht adressiert diese Frage auch explizit und bringt einige Argumente vor. Das eine ist die strukturelle Besonderheit der Völkerrechtsordnung. Sie sagen: Die Völkerrechtsordnung weist nur rudimentäre Ansätze einer obligatorischen Gerichtsbarkeit auf, und das ist auch zweifelsohne richtig. Also so ein bisschen die Idee: Völkerrechtliche Fragen sind schwierig, sie werden aber nie oder selten jedenfalls mit Verbindlichkeit von einem über den Staaten stehenden Gericht geklärt. Und daraus ziehen sie den Schluss, dass dann sozusagen die Auslegung oder der Streit über das, was das Völkerrecht besagt und ob wir jetzt eine Völkerrechtsverletzung im Einzelfall haben oder nicht, dass das dann eher so zwischen den Staaten stattfindet. Das überzeugt unseres Erachtens aus der völkerrechtlichen Perspektive schon deshalb nicht, weil man genau umgekehrt argumentieren könnte. Gerade weil es diese internationale Gerichtsbarkeit nicht in dem Maße gibt, spielen gerade innerstaatliche Gerichte eine große Rolle bei der Frage, ob Völkerrechtsverletzungen stattgefunden haben. Und auch gerade bei der Auslegung und Konkretisierung von Völkerrechtsnormen. Und es überzeugt aber auch verfassungsrechtlich nicht, weil das deutsche Grundgesetz doch sehr deutlich zum Ausdruck bringt, dass es Völkerrecht als verbindliches Recht anerkennt, dass Völkerrecht auch innerstaatliche Wirkung hat und dass das auch und gerade für schwieriges Völkerrecht gilt, nämlich für ungeschriebenes Völkerrecht. Artikel 25 Grundgesetz ist eine sehr, sehr weitgehende Norm. Und wenn es da Probleme und Zweifel gibt, dann haben wir da auch eine Antwort, dann sagt Artikel 100, Absatz zwei uns nämlich, dass man dann dem Bundesverfassungsgericht die Frage nach Bestand und Inhalt einer völkerrechtlichen Norm vorlegen muss. Und wenn wir das noch mal koppeln mit dem, was Herr Sauer am Anfang gesagt hat, dass aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nämlich eigentlich auch die Pflicht deutscher Staatsorgane folgt, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen, dann spricht doch wenig für weite Einschätzungsspielräume der Bundesregierung in völkerrechtlichen Fragen, wenn es um potenzielle Verletzungen durch andere Staaten geht. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Gut, wenn wir mit Ihrer Argumentation jetzt anders als das Bundesverwaltungsgericht hier sagt, es gibt eine Schutzpflicht, die Schutzpflicht besteht, dann stellt sich jetzt die Frage, die Sie angedeutet hatten: Was ist denn die Rechtsfolge? 

PROF. HEIKO SAUER: Man muss natürlich hier ein bisschen aufpassen. Wir sind bei der Schutzpflicht immer relativ anspruchslos und sagen, ja bloß das Untermaßverbot, wenn man nicht gar nichts macht oder was macht, was völlig untauglich ist, dann reicht das schon. Man muss natürlich sehen, dass dieses Untermaßverbot auch eine Konstruktion ist, die aus dem Verhältnis auch insbesondere von Gerichtsbarkeit und Gesetzgeber kommt, die hier ja überhaupt keine Rolle spielt. Und hier geht es ja um die Frage der Verteidigung von Menschenleben, und wenn man da sagt: Na ja, wenn ihr mal Konsultationen mit der US-amerikanischen Seite führt, über deren Inhalt wir ja nichts wissen, und euch da eine Zusicherung geben lasst, dass auf der Airbase Ramstein deutsches Recht geachtet wird, dann würde ich einfach sagen, das ist dann so doch zu wenig. Denn diese Zusicherung der Achtung deutschen Rechts auf der Airbase Ramstein hat ja mit unserem Sachverhalt eigentlich gar nichts zu tun. Es geht ja um die Frage, ob vom deutschen Boden Völkerrechtsverletzungen ausgehen. Und wenn man eine Schutzpflicht annimmt aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, würde man wohl wenigstens so eine Art Aufklärungspflicht etablieren müssen, dass man sagt, man muss eben darauf hinwirken, zu wissen, was die US-amerikanische Seite dort genau tut. Und man könnte sich beispielsweise auch eine viel qualifiziertere Zusicherung abgeben lassen, nämlich diejenige, dass dort keine Völkerrechtsverstöße begangen werden.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Für Ihre Sicht spricht in meinen Augen und gegen das Bundesverwaltungsgericht, dass hier eben allerhöchste Rechtsgüter im Raum stehen. Die Schutzpflichten sind natürlich differenziert und sie laufen differenziert ab am Verhältnis der jeweiligen Grundrechte. Und eine Schutzpflicht, nehmen wir mal den Schutz eines bestimmten Berufes, ist vielleicht anders intensiver ausgeprägt als die Schutzpflicht für die Wahrung und die Sicherung des menschlichen Lebens. Das Bundesverwaltungsgericht hat eben so geurteilt, wie Sie es gerade beschrieben haben, also hat gesagt, die Maßnahmen der Bundesregierung reichen aus. Das Berufungsgericht, das Oberverwaltungsgericht Münster hatte noch anders entschieden, noch gegen die Bundesrepublik. Jetzt, OVG Münster sagt, die Bundesregierung muss sich mit geeigneten Maßnahmen vergewissern, dass, wie Sie auch beschrieben hatten, dass die Luftwaffenbasis nicht für völkerrechtswidriges Handeln genutzt wird und müsse erforderlichenfalls auf die Einhaltung des Völkerrechts durch die USA hinwirken. Ja, helfen Sie uns mal: Was heißt das denn konkret? Läuft dann der Botschafter in Washington vor und sagt, das muss jetzt passieren! Oder wie läuft das konkret, was hat die Bundesregierung für Mittel?

PROF. HEIKO SAUER: Ja, das ist tatsächlich nicht leicht zu sagen. Ich würde eben sagen, man muss immer wissen, was auf deutschem Staatsgebiet passiert, wenn man einer fremden Macht einräumt, es zu benutzen. Ob das jetzt sozusagen primär diplomatische Kanäle, primär in Regierungskonsultationen oder sonst in irgendeiner Weise auch unter Einschaltung der Parlamente politisch geklärt wird, das liegt aus meiner Sicht außerhalb des Funktionsbereichs der grundrechtlichen Schutzpflicht, die dieses Ergebnis, was Sie ja angesprochen hatten, von dem das Oberverwaltungsgericht Münster noch ausgegangen war, bewirken will. Und es ist ja möglich, das zu bewirken, denn ich bin ja verfassungsrechtlich nicht dazu verpflichtet, meine Hoheitsrechte zu beschränken. Ich darf das, aber ich darf es eben vielleicht nur unter der Bedingung, dass diese Grundrechte hinreichend gewahrt werden. Und wenn Sie jetzt noch mal auf die außenpolitische Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland abstellen, dann ist das ja vollkommen richtig, aber das ist ja ein Verfassungsbelang unter vielen anderen, der eben nicht vollkommen auf Kosten des Grundrechtsschutzes realisiert werden kann, wenn wir eben davon ausgehen, dass dieser auch extraterritorial ist. Das heißt, am Ende hat sozusagen gerade im Hinblick auf die Frage, kann dieses Ergebnis hergestellt werden, die Bundesregierung natürlich eine sehr weitreichende Freiheit, und es geht ja nicht darum, jetzt die US-amerikanische Seite da vor die Tür zu setzen oder so, sondern es geht nur darum, vielleicht ein bisschen energischer zu sein, als man in den Konsultationen der letzten Jahre getan hat.

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Zum Abschluss würde ich gern mit Ihnen den Blick noch mal ein bisschen weiten. Lieber Herrr Payandeh, wie wird denn oder wird eine solche Entscheidung oder wird ein solches verwaltungsgerichtliches Verfahren vor deutschen Gerichten in anderen Staaten wahrgenommen, insbesondere in den USA? 

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Ja, also ob es jetzt in politischen Kreisen oder in Regierungskreisen so wahrgenommen wird, dazu kann ich natürlich wenig sagen. Man sieht schon, dass in der US-amerikanischen Berichterstattung, gerade auch in militärischen Kreisen das verfolgt wird und auch darüber berichtet wird, gerade über die Entscheidung der Berufungsinstanz, des OVG Münster, wurde viel berichtet, weil die ja schon verhältnismäßig weit geht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jetzt unmittelbare Konsquenzen hat für die Praxis der US-amerikanischen Gerichte oder auch auf politischer Ebene, das wird sicherlich verfolgt und beobachtet, aber solange nicht die Bundesregierung aktiv wird, und das wird sie, wenn überhaupt, ja ohnehin erst, wenn das Verfahren abgeschlossen ist und die Bundesregierung auch zu handeln verpflichtet, vorher wird da sicherlich nichts passieren auf der US-amerikanischen Seite. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Würden Sie sagen, diese Praxis der deutschen Gerichte, zumindest auch bereit zu sein, selbst das Bundesverwaltungsgericht, bereit zu sein, ein außenpolitisches Handeln, also hier in einer Dreieckskonstellation am Maßstab des eigenen Verfassungsrechts und am Maßstab des Völkerrechts zu überprüfen, ist das etwas, was in anderen Staaten auch gelebte Rechtspraxis ist, oder wäre das ein verfassungsrechtliches Alleinstellungsmerkmal Deutschlands, können Sie dazu was sagen? 

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Das ist sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal, aber da gibt es sicherlich sehr, sehr unterschiedliche Traditionen und sehr, sehr unterschiedliche Arten des Umgangs. Ich kann mir schon vorstellen, dass die doch relativ weitgehende Anerkennung einer extraterritorialen Schutzpflicht aus dem Grundrecht, dass Deutschland da doch schon relativ weit geht. Wenn wir mal davon ausgehen, dass man noch eine sehr viel weiter gehende Kontrolle vornehmen kann und dass Gerichte doch sehr viel konkreter feststellen können, was das Völkerrecht besagt und ob es verletzt ist, da ist Deutschland sicherlich kein Ausnahmefall. Und da würde ich auch sagen, ist die die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts auch durchaus innerhalb der deutschen Rechtsordnung nicht unbedingt repräsentativ. Wir haben ja ganz viele Entscheidungen, wo deutsche Gerichte sich zu auch sehr komplexen strittigen Völkerrechtsfragen verhalten. Hier haben wir natürlich eine besondere Konstellation durch die Einbindung noch eines dritten Staates. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Letzte Frage noch an Sie beide, Sie haben beide jetzt sowohl im Gespräch als auch in Ihrem Aufsatz Vorbehalte oder zumindest rechtliche Nachfragen gegenüber dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausdruck gebracht. Steht denn aus Ihrer Sicht zu erwarten, dass diese Rechtsfrage auch noch vom Bundesverfassungsgericht verhandelt wird? 

PROF. HEIKO SAUER: Sie wird dort entschieden werden, weil es eben eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts schon gibt. Das Bundesverfassungsgericht wird sicherlich nicht die Dinge einfach nur schnell vom Tisch wischen, weil es ein heikler Fall ist, sondern sich hier schon das Ganze genauer angucken, was vermutlich auch, das war jedenfalls in der jüngeren Vergangenheit oft so, auch einige Zeit dann in Anspruch nehmen kann. Man sieht ja auch, dass das Verwaltungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht auf eine Weise, und das Oberverwaltungsgericht dazwischen auf eine andere Weise entschieden hat, sodass man hier durchaus verfassungsrechtliche Zweifel an dem Urteil anmelden kann. 

DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Lieber Herr Professor Payandeh, lieber Herr Professor Sauer, haben Sie vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

PROF. HEIKO SAUER: Vielen Dank!

PROF. MEHRDAD PAYANDEH: Vielen Dank, sehr gerne!

Erwähnte Gerichtsentscheidungen

Zum Urteil des BVerwG geht es hier, zum Urteil des OVG Münster geht es hier

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