Die Hürden für die Kenntnis und Wahrnehmung eigener Rechte sind hoch. Formal betrachtet kann sich jeder in Deutschland die Hilfe holen, die er benötigt. Es gibt Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe, Mieterschutzbünde, Beratungsstellen und natürlich Rechtsanwälte. Jeder Mensch kann sich in den öffentlichen Sitzungen der Gerichte ein Bild von Gerichtsverfahren machen und in eine Bibliothek gehen, um sich z.B. mit Palandt und Medicus das Bürgerli- che Recht beizubringen. Nur klappt dies in der Regel nicht. In der Realität sind die Zugangsschwellen erheblich, das Risiko eines Rechtsstreits für viele zu hoch und allgemein zugängliche Informationen wie in Internet-Foren zu unpräzise, zu langatmig oder zu wenig vertrauenswürdig.
Dies gilt in verschärftem Maße für juristische Laien, die gleichwohl rechtliches Wissen für die Ausübung ihrer Berufe beherrschen müssen. Es gilt in noch dramatischerer Weise für solche Entwicklungs- und Schwel- lenländer, in denen es keine Prozesskostenhilfe gibt, keine Mieterschutzbünde, keine Beratungsstellen und zu wenige allgemein zugängliche Bibliotheken.
Nur eines gibt es überall: Mobiltelefone. Für 2020 sind weltweit 4,78 Milliarden Mobiltelefone prognostiziert.1 Die Digitalisierung bietet ganz neue Chancen für alle, juristisches Grundwissen nachhaltig und individuell aufzubauen sowie zu vertiefen.
Das Lehrbuch kann den Bedarf nicht allein decken, und sei es noch so gut.2 Bill Gates schreibt dazu 2019:
„I read more than my share of textbooks. But it’s a pretty limited way to learn something. […] But now, thanks to software, the standalone textbook is becoming a thing of the past. […] Instead of just reading a chapter on solving equations, you can look at the text online, watch a su- per-engaging video that shows you how it’s done, and play a game that reinforces the concepts. Then you solve a few problems online, and the software creates new quiz questions to zero in on the ideas you’re not quite getting. All of this is a complement to what teachers do, not a re- placement.“3
In den USA scheint diese Überzeugung für den Bereich juristischer Lehre bereits zu reifen:
„Legal educators must provide leadership and vision, part- nering with publishers and software programmers and developers to ensure our students receive the best legal education possible in the Digital Age.“4
Auch in der deutschen Rechtswissenschaft findet die Notwendigkeit, Zeitgemäßheit und Unumgänglichkeit der Digitalisierung der Juristenausbildung zunehmend Fürsprecher.5 In Reaktion auf die Corona-Krise sprechen juristische Fakultäten endlich von “aktuellem Digitalisierungsbedarf.
Ein Blick in einen anderen, bereits digitalisierten Sektor kann helfen, die tiefgreifenden Veränderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, zu verstehen: Der Weg, auf dem Menschen heute eine Sprache lernen, führt durch Sprachlern-Apps wie Duolingo und Babbel. Duolingo ist eine Sprachlern-Software für Smartphones. Der Gründer Luis von Ahn hat sie mit dem Ziel erstellt, Sprach-Bildung allen kostenlos zur Verfügung zu stellen.6 Duolingo verzeichnet rund sieben Jahre nach der Gründung über 300 Millionen Nutzer weltweit.7 Babbel – ein Startup aus Berlin – ist das deutsche Pendant dazu. Babbel bietet mit über 450 Mitarbeitern in Berlin und New York die meistverkauften Sprachlern-Apps der Welt.8
Digitalisierung allein ist keine neue Methode. Sie eröffnet aber mit ihren neuen technischen Möglichkeiten Raum für Innovationen in der Didaktik.9 Der Erfolg der Sprachlern-Apps beruht zu einem großen Teil auf didaktischen In- novationen, vor allem: Microlearning und Gamification. Es erscheint lohnenswert, der Frage nachzugehen, in welchem Umfang sich diese Innovationen auch auf die juristische Bildung übertragen lassen.
Wir leben in einer Wissensgesellschaft. Wir haben uns darauf eingestellt, kontinuierlich, lebenslang zu lernen.10 Gleichzeitig sinkt die individuelle Aufmerksamkeitsspanne des Einzelnen in unserer Gesellschaft. Aus dieser Spannung resultiert ein globaler Trend: nicht formales bzw. informelles Lernen,11 d.h. das Lernen außerhalb strukturierter Lehrpläne und Bildungseinrichtungen. Die UNESCO sieht in der Anerkennung und Zulassung informellen Lernens einen entscheidenden Hebel, um lebenslanges Lernen gesamtgesellschaftlich und global Realität werden zu lassen.12
Microlearning ist eine Methode, die nicht formales Lernen – sozusagen zwischendurch, im Alltag – ermöglicht. Microlearning bedeutet Lernen in kleinen Schritten und kurzen Einheiten. Es beinhaltet zudem häufig eine schnelle Rückkopplung, d.h. die Kontrolle des Lernerfolgs geschieht sofort. Es lässt sich zudem kombinieren mit einer Didaktik, die den Lernenden aktiviert und dazu anhält, selbst Entscheidungen zu treffen sowie diese einzugeben, im Unterschied zum reinen Konsum von Inhalten. Die Methode nutzt die Leistungsfähigkeit des Gehirns, sich viele komplexe Inhalte durch kleine und immer wiederkehrende Lerneinheiten anzueignen.
Auch Jurafuchs wendet eine Didaktik an, die diese Aspekte zusammenführt: Dort werden juristische Lerninhalte in die kleinsten denkbaren Teilchen zerlegt und ausschließlich in Fällen, das heißt konkreten Lebenssachverhalten, deren juristische Bewertung erforderlich ist, vermittelt. Die Nutzer setzen sich damit nicht abstrakt auseinander, sondern sind gehalten, das Gelernte sofort anzuwenden, indem sie in kleinen Aufgaben Sachverhalte aktiv rechtlich bewerten müssen und eigene Entscheidungen treffen. Anschließend werden die inhaltlichen Feinheiten erklärt. Dadurch bleiben die juristischen Inhalte auf dem Smartphone aufnehmbar, ohne dass etwas von der Komplexität der juristischen Argumentationslogik verloren geht. Die Fälle vermitteln auf diese Weise ein Judiz, also ein Gespür für die Lösung – unerlässlich für alle, die mit juristischen Fragen umgehen wollen oder müssen.13
Der Erfolg und die Beliebtheit von Microlearning erklären sich durch zentrale Wesensmerkmale der weltweiten Online-Gesellschaft: Permanente Verfügbarkeit des Smartphones, kürzere Aufmerksamkeitsspannen, Lernen, sobald Zeitfenster verfügbar sind. Für formelles Lernen neben Beruf, Familie und Ausbildung fehlt oft die Zeit. Fünf bis zehn Minuten informelles Lernen am Smartphone passen hingegen in nahezu jeden Alltag. Besonders augenfällig ist dies für Berufspendler, die jeden Tag mehrere Stunden in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen.
Am Beispiel von Duolingo und Babbel haben US-Forscher die Lernerfolge durch Microlearning für das Fremdsprachenlernen nachgewiesen: Nach einer Studie von Wissenschaftlern der City University of New York und der University of South Carolina aus dem Jahr 2012 brauchten Duolingo-Nutzer im Schnitt 34 Stunden mit der Sprachlern-App, um sich den Lernstoff eines Studiensemesters anzueignen.14 Mit Babbel benötigten Nutzer dafür sogar nur 21 Stunden, wie die gleichen Forscher 2016 herausfanden.15
In diesem innovativen Ansatz steckt gewaltiges Potential. Nicht formales Lernen wird formales Lernen nicht ablösen. Die Rolle der Lehrenden ändert sich jedoch: Sie werden wichtiger, weil sie die Lernenden in ihrer Selbst- steuerung fördern können.16 Manche nennen diese Vision auch „flipped classroom“, d.h. dass Hausaufgaben und die Stoffvermittlung vertauscht werden, so dass die Lerninhalte zu Hause von den Lernenden erarbeitet werden und die Anwendung und Klärung von Fragen im Unterricht erfolgt. Dies befreie die Präsenzphase von der Last der Vermittlung umfangreichen Faktenwissens.17 Zudem weiß der Lehrende im Optimalfall, mit welchem Wissensstand, welchem Vorwissen und welchen Schwierigkeiten seine Studierenden in die Vorlesung kommen.18
Wenn Legal Literacy dem Einzelnen derart viele Vorteile bietet, stellt sich die Frage, warum nicht jeder zu juristischer Selbst-Bildung greift. Der Hauptgrund dürfte in der Komplexität des Lernstoffs liegen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Ansprüche der Endnutzer an digitale Bildungsangebote in rasantem Tempo steigen. Die großen (US-) Technologie-Unternehmen haben mit ihren Unterhaltungs-Apps neue Maßstäbe gesetzt. Sie setzen große Gruppen von Psychologen ein, um die Engagement-Metriken oder die Stickiness ihrer Apps zu erhöhen.19 Es ist nicht zuletzt eine enorme Herausforderung, juristische Bildungsinhalte fachgerecht zu digitalisieren und Facebook,Twitter, Instagram, Snapchat u.a. im Wettbewerb um die Auf- merksamkeit des Einzelnen etwas entgegenzusetzen, das sich im Alltag der Nutzer regelmäßig für ein paar Minuten durchsetzen kann.
Ein vielversprechender Ansatz ist – wie Duolingo und Babbel zeigen – spielerisches Lernen: Wenn das Lernen juristischer Inhalte sich ein wenig so anfühlen würde wie ein Videospiel, dann würde es eine viel größere Breitenwirkung entfalten. Gamification bedeutet, aus Video-Spielen bekannte Elemente auf andere Bereiche zu übertragen, wie etwa auf Bildungs-Software. Das Ziel ist: Freude und Spielspaß bei den Nutzern entstehen zu lassen, so dass sie motiviert bleiben, auch über längere Zeiträume hinweg. Spiel-Elemente, die den Lernprozess positiv beeinflussen können, sind zum Beispiel: Fortschritts-Mechaniken (Punktesysteme, Badges, Leaderboards etc.), Narrative und Charaktere, Spieler-Kontrolle, sofortiges Feedback und soziale Kontakte.20
Aus der regelmäßigen Anwendung resultieren sog. Streaks, d.h. in der Software gekennzeichnete Zeiträume, über die Nutzer ohne Unterbrechung mit der App lernen. Der Fall Duolingo zeigt, dass konsequentes digitales Lernen mit den richtigen Engagement-Mechanismen sogar über mehrere Jahre möglich ist: Die höchsten Duolingo-Streaks belaufen sich bereits auf über fünf Jahre.21 Im Falle der Jurafuchs-App wurden bereits Streaks von 745 Tagen festgestellt. Für den Vergleich mit anderen Nutzern gibt es zudem eine Streak-Rangliste.
Ein weiterer wichtiger Motivationsfaktor sind Bilder und Visualisierungen als Ergänzung zu und Verstärkung der Lernerfahrung. In der juristischen Didaktik spielen sie faktisch bislang keine Rolle. Jura ist eine Buch- bzw. Textwissenschaft. Die damit verbundene Annahme, dass die Wissensvermittlung ausschließlich über das geschriebene oder gesprochene Wort erfolgen könne und die Verwendung von Bildern im besten Fall lästig und im schlechtesten Fall unpräzise oder gar unwissenschaftlich sei, lässt sich in der juristischen Ausbildung und Ausbildungsliteratur allenthalben beobachten.22
Durch diese Beschränkung der Lernerfahrung auf das Wort bleiben allerdings die visuellen Lernfähigkeiten des Gehirns ungenutzt, die insbesondere in der assoziativen Verknüpfung von Bild und Sachproblem bzw. Lösung liegen und gerade bei mehrmaligem Lernen zu gesteigerten Lernerfolgen führen.23 Ganz unbenommen ist überdies, dass Visualisierungen die Zugänglichkeit komplexer juristischer Lerninhalte steigern. Doch ein Wandel ist erkennbar: In einer zunehmenden Anzahl juristischer Ausbildungswerke werden Formen der Visualisierung zur Verdeutlichung von Rechtsproblem und -lösung dargeboten.24 Bei Jurafuchs gehören Visualisierungen zum Kernbestand des Lernangebots: Jeder Fall ist mit einer Illustration versehen, die den Sachverhalt verdeutlicht, den Zugang zum Rechtsproblem vereinfacht und den Lernspaß steigert. Teilweise dienen die Illustrationen dazu, abstrakte juristische Konzepte zu versinnbildlichen (z.B. Willenserklärungen oder Abstraktionsprinzip):
In anderen Fällen ermöglichen Illustrationen ein schnelleres Verständnis des Sachverhalts. Wo das Landgericht Frankfurt am Main mehrere Seiten benötigt, um den genauen Fortschritt eines Diebstahlsversuchs zu beschreiben, bevor der Eigentümer ihn unterbricht,25 vermittelt ein Bild die Szene im Bruchteil einer Sekunde:
Überdies sind Illustrationen geeignet, den Lernprozess mit etwas Humor zu füllen und die Lernenden ein wenig zu unterhalten.
Die Digitalisierung ermöglicht auch neue Prozesse in der Erstellung der Lern-Inhalte. Die Inhalte können dank App-Technologie aufwändiger produziert sein. Denn bei der Auslieferung an die Endnutzer entstehen keine weiteren Kosten, anders als etwa bei Print-Produkten.26 Zudem können die Inhalte angelehnt an die Prinzipien agiler Softwareentwicklung27 erstellt werden. Zu diesen Prinzipien kann man zählen:
Ein Lehrbuch kann diese Anforderungen nicht erfüllen. Ein Lehrbuch ist wie eine Einbahnstraße: Die Autoren transportieren ihre Vorstellungen davon, Inhalte zu vermitteln. Die Lernenden konsumieren sie – oder brechen den Monolog irgendwann ab. Welche Anzahl der Leser welches Kapitel abschließt, wird für immer unbekannt bleiben. Das ist bei digitalen Angeboten natürlich anders. So können die User (anonymisiert) aktiv und/oder passiv durch ihr Lernverhalten mitteilen, welche Inhalte verständlich sind und welche nicht. Feedback ist darüber hinaus in den App-Stores und im App-eigenen Forum möglich.
Auf dieser Grundlage lassen sich die Lerninhalte kontinuierlich verbessern, die Lern-Module fortentwickeln, die Fragen der Lernenden beantworten und die digitalen Angebote immer genauer auf die Zielgruppen zuschneiden.28 Die Folge ist eine länger anhaltende, kontinuierlich verbesserte und individualisierte Lernerfahrung der Nutzer.
Die ggf. mangelnde Passgenauigkeit von Medium, Inhalt und Zielgruppe lässt sich zum Beispiel daran ablesen, ob es einen starken Nutzerabfall über den Verlauf der Kapitel innerhalb eines Rechtsgebiets gibt. Ist das der Fall, spricht einiges dafür, für diesen Kurs das didaktische Konzept, den Umfang und die Darstellungstiefe zu überdenken. An den Metadaten von Jurafuchs zum Rechtsgebiet BGB Allgemeiner Teil lässt sich das gut demonstrieren:
Im Oktober 2019 haben rund 3.000 Nutzer das Kapitel 1 (Grundbegriffe der Rechtsgeschäftslehre) vollständig abgeschlossen. Das zweite und dritte Kapitel (Tatbestand der Willenserklärung bzw. Abgabe und Zugang von Willenserklärungen) haben jeweils rund 2.500 Nutzer abgeschlossen (rund 85%). Das vierte Kapitel haben noch 1.800 Nutzer abgeschlossen (rund 70%). Mit anderen Worten: Über die Spanne von etwa 130 Fällen zu diesen drei Themen ist von Kapitel zu Kapitel jeweils nur ein geringer Teil der Lernenden abgesprungen.
Dies zeigt, wie das „Am Ball Bleiben“, das beim Lernen juristischer Inhalte unerlässlich ist, durch digitale Lernangebote positiv beeinflusst werden kann. Innovation, Didaktik und User-Experience lassen sich in sich immer wiederholenden Feedback-Loops konsequent an die im Wandel befindlichen Ansprüche der unterschiedlichen Zielgruppen anpassen.
Es steht außer Frage, dass juristische Bildung etwas grundsätzlich anderes ist als Fremdsprachenunterricht. Das Gedankengebäude der Rechtswissenschaft unterscheidet sich deutlich von denen fremder Sprachen. Zugleich sind Recht und Sprache verwandt, ist das Recht doch auf ein grundlegendes Verständnis von Sprache angewiesen. Inwieweit sich die Erkenntnisse der Sprachlern-Apps über die Revolution des Lernens von Sprachen auf die digitale juristische Bildung übertragen lassen, muss sich deshalb erst erweisen.
Doch eines ist klar: Die Digitalisierung wird aus dem Bereich der juristischen Bildung nicht mehr verschwinden. Offen ist nur, welchen Weg sie in deren Tiefe nimmt. US-amerikanische Juristen sind überzeugt:
„The emerging omnipresence of digital technologies in legal education is inescapable.“29
In der Welt der juristischen Ausbildung ist effizientes Lernen aufgrund der großen Stoffmenge entscheidend. Zudem gilt es, den Stoff nicht nur zu lernen, sondern auch zu wiederholen. Viele Studierende setzen dabei auf Karteikarten und digitale Karteikartentools wie Anki. Mittlerweile haben diese jedoch ernsthafte Konkurrenz durch Jurafuchs, eine spezialisierte Lernplattform für Jurastudierende und Rechtsreferendare, erhalten. In…
Definitionen + KI + Spaced Repetition = ✨ Magic ✨ Jura ist ein Verständnisstudiengang. Das Schwierige an den Scheinklausuren und den Staatsexamen: Du wirst mit einem unbekannten Sachverhalt konfrontiert. Das reine „Abladen“ von Wissen ist ausgeschlossen. Stattdessen musst Du den Sachverhalt analysieren, bewerten und unter überzeugendem Einsatz des juristischen Handwerkszeugs einer vertretbaren Lösung zuführen. Ist…
Das Jurastudium ist lang, der Stoff ist umfangreich. Wenn Du gut vorbereitet in Prüfungen gehen möchtest, bleibt Dir nichts Anderes übrig, als frühzeitig mit dem Lernen zu beginnen. Das Problem: Bis zur Prüfung – jedenfalls bis zum Ersten bzw. Zweiten Staatsexamen – hast Du einen Großteil wieder vergessen. Das ist ein echtes Problem und kostet…