Jurafuchs Podcast #007 | Welchen rechtlichen Grenzen unterliegen Meinungsäußerungen politischer Parteien im Wahlkampf? | OVG Bautzen, Beschluss vom 21.09.2021 - 6 B 360/21
Zusammenfassung
Kurz vor der Bundestagswahl im September 2021 erregten Wahlplakate der rechtsextremen Partei "Der III. Weg" die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Darauf stand in großen Lettern: "Hängt die Grünen". Darunter fand sich in viel kleinerer Schrift der Satz: "Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt."
In Bayern wurden die Plakate von der Polizei überwiegend abgehängt. In Sachsen forderte die Stadt Zwickau die Partei "Der III. Weg" auf, die Plakate ebenfalls abzuhängen. Die Partei ging dagegen vor - und gewann vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz. Das Gericht meinte: Die im Wahlplakat enthaltene Aussage sei mehrdeutig und deshalb von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) geschützt. Man könne sie auch als Aufforderung verstehen, die Wahlplakate der Partei "Der III. Weg", deren Parteifarbe grün ist, aufzuhängen. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufgehoben: Die Kernaussage des Wahlplakats "Hängt die Grünen" sei für unvoreingenommene und verständige Betrachter:innen zu verstehen als Aufforderung, Mitglieder oder Anhänger:innen der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" aufzuhängen. In jedem Fall sei darin ein Angriff auf die Menschenwürde eines Teils der Bevölkerung zu sehen, dem das Lebensrecht durch die Aussage abgesprochen werde.
Professor Mathias Hong, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, erläutert das komplexe Geflecht von Meinungsfreiheit, Parteienprivileg, Wahlkampf und Strafrecht. Er erklärt, welche Rolle die Meinungsfreiheit für die offene Gesellschaft beansprucht, warum Meinungsäußerungen politischer Parteien im Wahlkampf besonders geschützt sind und unter welchen Voraussetzungen Meinungsäußerungen unzulässig sind. Professor Hong diskutiert dabei auch, ob das Rechtssystem hinreichend effektiven Schutz gegen extremistische und verfassungsfeindliche Bestrebungen bereithält, und zeigt auf, welche Herausforderungen bei der Bekämpfung von Hassrede gerade auch im Internet bestehen.
Interview (Transkript)
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Willkommen bei Spruchreif, dem Rechtsprechungs-Podcast von Jurafuchs. In Kooperation mit dem (?Nomos) Verlag. Mein Name ist Wendelin Neubert. Und zusammen mit meinen Gästen gehe ich dem Kontext und den Hintergründen aktueller Gerichtsentscheidungen auf die Spur.
PROF. MATHIAS HONG: Ich denke, das schlagende Herz der Meinungsfreiheit ist die politische Rede. Das ist eine demokratische Freiheit. Keine Demokratie könnte existieren ohne, dass freie Meinungsäußerung gewährleistet ist. Irgendwann überschreitet vielleicht eine verfassungsfeindliche Partei mit ihren Aktivitäten dann auch die Schwelle zu einer Rechtsgutbedrohung. Hier ist mit der nötigen Eindeutigkeit festzustellen, dass letztlich durch diese Aussage gesagt wird, die Mitglieder der Partei, also die Grünen, sind aufzuhängen. Die sollen aufgehangen werden. Auch wenn man das jetzt nicht wörtlich versteht im Sinne von einer Tötung, wird doch die Aussage getroffen, dass das Personen sind, die man hängen darf oder sollte. Das ihnen ihr Lebenswert abgesprochen wird.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Mein Gast ist Professor Mathias Hong. Er ist Professor für Öffentliches Recht in der Hochschule für Öffentliche Verwaltung, (?Kiel). Seien Sie herzlich willkommen!
PROF. MATHIAS HONG: Schön, dass ich da sein kann!
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Wir sprechen heute darüber, welchen rechtlichen Grenzen die Äußerungen politischer Parteien im Wahlkampf unterliegen. Anlass dafür bildet die Causa „Hängt die Grünen“. Im September 2021 fanden sich Wahlplakate der rechtsextremen Partei Der III. Weg in Sachsen und Bayern. Auf denen stand in großen Lettern „Hängt die Grünen.“ Lieber Professor Hong, könnten Sie bitte für uns zum Einstieg den Sachverhalt einmal in Erinnerung rufen?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, gerne. In der Stadt Zwickau wurden diese Plakate auch aufgehängt. Dann hat die Stadt angeordnet, dass sie abgehängt werden müssen. Ein belastender Verwaltungsakt. Dagegen ist dann Der III. Weg im gerichtlichen Eilerfahren vorgegangen. Widerherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Das Verwaltungsgericht Zwickau hat dann zunächst positiv entschieden für Den III. Weg. Es hat sich auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts berufen und gesagt, das Ganze wäre mehrdeutig. „Hängt die Grünen“ ist zwar der große Text, den man zunächst sehen kann. Aber darunter gibt es einen kleinen Text, nämlich: „Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt.“. Es war nämlich so, dass das Wahlplakat selbst in grüner Farbe gehalten war. Dann sollte das also bedeuten, hängt unsere grünen Plakate auf und macht uns dadurch bekannt. Das war allerdings in sehr kleinen Buchstaben unter der großen Überschrift „Hängt die Grünen“ angebracht. Trotzdem hat das Verwaltungsgericht Chemnitz darin eine Mehrdeutigkeit gesehen und gesagt, im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes müsste jetzt hier diese günstigere Deutung, dass das gar keine Aufforderung ist, die Grünen, also die Mitglieder der Partei, aufzuhängen, zu Grunde gelegt werden. Erst in der zweiten Instanz ist das dann korrigiert worden. Das sächsische Oberverwaltungsgericht in Bautzen hat das anders gesehen als das Verwaltungsgericht Chemnitz, und dann entschieden, dass diese Plakate weiterhin hängen bleiben dürfen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Abgehängt werden müssen! Glaube ich.
PROF. MATHIAS HONG: Entschuldigung, abgehängt werden müssen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Super, vielen Dank. Diese Plakate haben ja sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Dieser Fall bewegt sich in einem äußerst spannenden Geflecht von juristischen Schwergewichten. Hier geht es um die Meinungsfreiheit, das Parteienprivileg, den Wahlkampf und das Strafrecht. Wir wollen jetzt dieses Geflecht Stück für Stück entheddern. Fangen wir mit der Meinungsfreiheit an. Können Sie uns bitte in einem ersten Schritt skizzieren, in welchem Umfang und in welchen Grenzen Äußerungen durch die Meinungsfreiheit unter dem Grundgesetz geschützt sind?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, gern. Der Artikel 5, Absatz 1, Satz 1, Grundgesetz, schützt mit der Meinungsfreiheit ein zentrales Kommunikationsgrundrecht. Ich denke, das schlagende Herz der Meinungsfreiheit ist die politische Rede. Das ist eine demokratische Freiheit. Keine Demokratie könnte existieren, ohne dass freie Meinungsäußerung gewährleistet ist. Das Ganze dient vor allem auch dem Schutz der Minderheit. Das heißt, dass in der Demokratie Minderheitenpositionen klar und deutlich artikuliert werden können. Das auch überspitzte oder polemische Formulierungen möglich sind. Dass man sich in den politischen Meinungskampf begeben kann. Deswegen hat das Verfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die freie Rede anerkannt. Gerade in Angelegenheiten, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, insbesondere politische Angelegenheiten, muss es eine Vermutung dafür geben, dass die freie Rede gewährleistet ist. Es bedarf dann schon gewichtiger Gründe, um die Meinungsfreiheit einschränken zu können. Wenn wir zum Beispiel die Demonstrationen von Fridays for Future nehmen, unabhängig davon, wie man die politisch beurteilt, kann man sagen, es sind jedenfalls Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren. Eine drohende Klimakatastrophe. Dort ist die Meinungsfreiheit mit dem stärksten Gewicht ausgestattet. Letztlich geht es ja bei der Meinungsfreiheit darum, dass eine Meinung als solche nicht sanktioniert oder unterdrückt werden darf. Die Vorstellung ist, die Ideen sind frei, die Gedanken sind frei. Sie können auch geäußert werden. Und nur dann, wenn ich durch die Meinungsäußerung auch eine Bedrohung von Rechtsgütern habe, wie zum Beispiel das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn es um eine Beleidigung geht, oder des öffentlichen Friedens, wenn dort Gewalttaten drohen, dann darf ich die Meinungsfreiheit einschränken. Aber nicht schon eine Idee als solche, oder eine Meinung als solche, unterdrücken. Es muss grundsätzlich eine Abwägung stattfinden. Es muss dann gegen gegenläufige Interessen abgewogen werden. Und im (?Einzelfall) festgestellt werden, ob die Meinungsfreiheit wirklich zurücktreten muss. Ausnahmen sind lediglich die Verletzung der Menschenwürde, die Schmähkritik und die sogenannte Formalbeleidigung.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Okay. Vielleicht können wir da noch tiefer einsteigen. Also, auch polemische und überspitzte Äußerungen sind geschützt? Wie unterscheiden wir denn jetzt zulässige Äußerungen von nicht mehr zulässigen Äußerungen?
PROF. MATHIAS HONG: Wie gesagt, eine Möglichkeit ist, dass das Ganze eine Verletzung der Menschenwürde ist. Oder eine Schmähkritik oder eine Formalbeleidigung. Diese Kategorien müsste man sich erst einmal anschauen. Wenn das der Fall ist, dann ist in der Regel ohne weitere Abwägung die Meinungsfreiheit nachrangig. Dann haben wir eine Grenze der Meinungsfreiheit erreicht. Wenn die drei Kategorien nicht einschlägig sind, dann nehmen wir tatsächlich eine Einzelfallabwägung vor. Und schauen uns den Einzelfall genau an. Da gibt es keine klare Priorität, sondern es gibt Abwägungsleitlinien, die das Verfassungsgericht aufgestellt hat, und die dann im Einzelfall zu berücksichtigen sind. Das kann sich dann zum Beispiel insbesondere bei mehrdeutigen Meinungsäußerungen auswirken. Dort hat das Gericht zum Beispiel festgehalten, dass bei einer Mehrdeutigkeit der Äußerung zunächst einmal vielleicht eine günstigere Deutung auch in den Blick genommen werden muss. Die Gerichte und Behörden müssen dann vor einer Sanktionierung genau prüfen, ob nicht vielleicht diese günstigere Deutung die einschlägige Äußerung ist.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Ich habe eine Äußerung, der kann ich potenziell verschiedene Deutungen zuschreiben? Ist jede Form von alternativer Deutung dabei relevant? Oder gibt es dabei noch Einschränkungen? Ich könnte mir ja überlegen, irgendeine noch so fernliegende, alternative Deutung einer besonders provokanten Äußerung vorzubringen. Muss die auch berücksichtigt werden? Oder wie verhält es sich da?
PROF. MATHIAS HONG: Nein, sie muss nicht berücksichtig werden. Eine fernliegende Deutung muss nicht in den Blick genommen werden. Es gibt da auch erst einmal eine Eingrenzung. Bevor man diese Mehrdeutigkeit feststellen kann, muss man schauen, ob nicht diese behauptete Mehrdeutigkeit fernliegend ist. Ob eine andere Deutung zwar theoretisch denkbar ist, aber letztlich im konkreten Fall fernliegt, angesichts der Einzelfallumstände.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Nun gibt es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine wiederkehrende, und auch von Studierenden immer wieder rezipierte Einschätzung. Nämlich die Einschätzung: im Zweifel für die Meinungsfreiheit. Vielleicht hilft es, das noch einmal zu kontextualisieren in diesem Zusammenhang. Wie verhält es sich damit?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, sehr schön. Ich denke, dass es wichtig ist, dass diese Formulierung präzisierungsbedürftig ist. Sie ist ungenau. Die sollte man sich vielleicht auch nicht unbedingt für die Examensvorbereitung als solche merken. Sondern, man sollte gleich die Formulierung verwenden, die das Verfassungsgericht auch verwendet. Nämlich, dass alternative Deutungen bei Mehrdeutigkeit mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden müssen. Also, man muss mit schlüssigen Gründe zeigen, dass die günstigere Deutung nicht einschlägig ist. Dann kann die ungünstigere Deutung auch zugrunde gelegt werden. Im Zweifel für die Meinungsfreiheit klingt ein wenig so, als ob jeder Restzweifel, der da noch bestehen könnte an so einer Deutung, dann schon ausreicht, um zugunsten der Meinungsfreiheit zu entscheiden. So anspruchsvoll ist dieser Maßstab nicht. Sondern die Gerichte und Behörden können durchaus auch mögliche Alternativdeutungen als nicht einschlägig ansehen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Gut, so haben wir uns jetzt nun im ersten Schritt angenähert, dass Äußerungen in einem bestimmten Rahmen nicht mehr zulässig sei können. Sie hatten gerade die Parameter genannt. Nun stellt sich in diesem konkreten Fall ja eine darüber hinausgehende Frage. Wir haben hier nicht bloß eine Meinungsäußerung einer Privatperson, eines Grundrechtsträgers, einer Grundrechtsträgerin. Sondern hier steht die Meinungsäußerung im Kontext des politischen Wahlkampfs. Und da stellt sich hier die Frage, macht es einen Unterschied, ob ich als einfacher Bürger eine Äußerung tätige oder ob eine politische Partei sich äußert? Noch dazu im Wahlkampf?
PROF. MATHIAS HONG: Es macht auf jeden Fall einen Unterschied. Der Artikel 21 des Grundgesetzes schützt ja die Parteienfreiheit noch einmal besonders. Ich habe ja gerade vom Herz der Meinungsfreiheit gesprochen, politischer Rede. Das ist natürlich ganz besonders relevant, wenn es um politische Parteien geht. Weil deren Rolle genau darin bestehen soll, den politischen Meinungskampf für den Wahlkampf und für den Wettbewerb um den Einzug in das Parlament, auszutragen. Deswegen haben wir hier einen nochmals erhöhten Schutz. Und eine ganz besonders starke Schutzwirkung.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Das ist ganz spannend. Wir kommen gleich noch einmal vertiefend darauf zurück. Weil sich in diesem Fall ja auch ganz stark herauskristallisiert, dass die Meinungsfreiheit, aber auch das Parteienprivileg gerade darauf angelegt sind, die Minderheit zu schützen. Und gleichzeitig die Möglichkeit bestehen muss, dass sich der Rechtsstaat gegen bestimmte Angriffe seiner selbst, oder von Grundrechtsträgern, wehren kann. Und man die Meinungsfreiheit, oder das Parteienprivileg nicht als ein Schild, hinter dem man sich verstecken kann, nutzen kann. Wie wirken sich die besonderen Privilegierungen von politischen Parteien aus, in Bezug auf deren Meinungsäußerung?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, Sie weisen zurecht darauf hin. Dass der Gedanke, den ich jetzt entwickelt habe, Meinungen als solche dürfen nicht unterdrückt werden, nicht in beliebiger Weise zum Angriff auf die Verfassung benutzt werden kann. Denn dort geht es ja gerade nicht mehr nur um Meinungen als solche, sondern irgendwann überschreitet vielleicht eine verfassungsfeindliche Partei mit ihren Aktivitäten dann auch die Schwelle zu einer Rechtsgutbedrohung. Das spiegelt sich auch in dem Artikel 21 des Grundgesetzes wider. Der auch Möglichkeiten für Parteiverbote, und neuerdings dann auch die Möglichkeit der Entziehung der Parteienfinanzierung, bereit hält. Das Verfassungsgericht hat dort einerseits betont, dass das dann auch in diesem Fall kein Gesinnungsverbot darstellt. Auch dort geht es schon nicht um die Meinung als solche. Sondern, dass man auch ein gewisses Bedrohungspotenzial auch haben muss. Eine Potenzialität ist erforderlich, so, dass die Partei auch ihre Ziele in die Praxis umsetzen kann. Sonst ist ein Parteiverbot ausgeschlossen. Das war ja die Grundlage für die NPD-Entscheidung von 2017. Deswegen wurde die NPD nicht verboten. Sie ist zwar inhaltlich verfassungsfeindlich ausgerichtet, aber mangels Gefährlichkeit gewissermaßen, konnte sie nicht verboten werden. Das bedeutet dann, und das ist das sogenannte Parteienprivileg, das Sie jetzt angesprochen haben, solange eine Partei nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten worden ist, muss sie auch dieselben Rechte für politische Meinungsäußerung haben, wie alle anderen Parteien auch. Also die Chancengleichheit der Parteien gewährleistet, dass die Partei gleich behandelt wird. Dass sie auch zum Beispiel gleichen Zugang zu einer Stadthalle der Gemeinde bekommt. Dass diese Partei, obwohl sie verfassungsfeindlich ist, eben nicht behindert werden darf in ihrer politischen Betätigung.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Da kommt die besondere Bedeutung, die die Verfassungsordnung des Grundgesetzes den politischen Parteien zumisst. Als Transmissionsring, gewissermaßen. Zwischen dem Wahlvolk, dem Souverän und der Ausübung politischer Herrschaft, Ausübung von Regierungsgewalt durch erst die Parlamente, und dann später aber auch durch die von Parlamenten gewählten Regierungen. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht Maßstäbe entwickelt, wie man, vor diesem Hintergrund der Meinungsäußerungsfreiheit und der Bedeutung der Parteien, die Meinungsäußerungen von Parteien in bestimmten Fällen in Frage stellen kann. Sagen kann, hier überschreitet eine Meinungsäußerung, eine Partei im politischen Wahlkampf, zum Beispiel durch Wahlplakate, das rechtlich zulässige. Können Sie da noch einmal für uns einsteigen, um das plastisch zu machen?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, gerne. Also, im Wahlkampf ist natürlich alles, was ich angesprochen habe zum Schutz der Meinungsfreiheit als demokratisches Recht, noch einmal auf die Spitze getrieben. Das ist die eigentliche Arena, in der der politische Kampf dann ausgetragen wird und große Bedeutung für die Demokratie erlangt. Dann kommt das Parteienprivileg hinzu, das wir jetzt besprochen haben. Dieser besondere Schutz der Partei durch das Monopol, dass nur das Verfassungsgericht dieses Verbot aussprechen kann. Anders als bei Vereinen zum Beispiel, in denen auch das Ministerium dieses Verbot erlassen kann. Nur das Bundesverfassungsgericht ist dazu befugt und solange es kein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht gibt, muss die Partei volle Rechte behalten. Das spiegelt sich im Wahlkampf dann so wider, dass zum Beispiel Wahlwerbespots oder Wahlplakate nur dann eingeschränkt werden können, wenn der Verstoß gegen Strafgesetze nicht nur einfach vorliegt, sondern sogar eindeutig vorliegt, und wenn er ins Gewicht fällt. Es muss ein evidenter Verstoß sein, der ins Gewicht fällt. Die Maßstäbe, die Angriffsschwelle, sind noch einmal angehoben, um diese besondere Rolle der Parteien im Wahlkampf abzusichern.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Also, wenn keine Zweifel bestehen, dass in diesem konkreten Fall die Verletzung des Rechtsguts eines Anderen, das durch das Strafgesetz geschützt wird, vorliegt. Dann haben wir diese verschärften Anforderungen, wenn es darum geht, im Zusammenhang vom Wahlkampf politische Äußerungen von Parteien zu beschränken. Und jetzt stellt sich für uns die spannenden Frage, wenn wir diese Maßstäbe nun einmal anwenden auf diese Äußerung auf diesem Wahlplakat, „Hängt die Grünen“, und allem, was auf diesem Wahlplakat noch steht. Was ergibt sich denn dann daraus?
PROF. MATHIAS HONG: In dem Fall stellte sich ja die Frage, ob die Anforderungen für die Deutung von mehrdeutigen Äußerungen hier einschlägig sind? Und darauf hat das Bundesverwaltungsgericht Chemnitz ja auch seine Entscheidung gestützt. Die Fotos von diesem Wahlplakat sind leicht zugänglich, die kann man sich anschauen. Da kann man deutlich sehen, vor allem natürlich durch den kleinen Druck, den dieser Zusatztext hat, dass man die Partei unterstützen soll durch Werbung in der grünen Parteifarbe. Dieser Text ist so klein gehalten, dass zum Beispiel ein Passant, der jetzt einen flüchtigen Blick darauf wirft, das gar nicht lesen kann. Und auch jemand vom Fahrrad aus, der nur vorbeifährt, oder im Auto sitzt und nur vorbeifährt, eigentlich diesen kleingedruckten Text gar nicht wahrnehmen wird. Das heißt, es ist die Frage, ob der Maßstab hier überhaupt eine Mehrdeutigkeit ergibt, den das Verfassungsgericht anlegt. Nämlich, der verständige und unvoreingenommene Beobachter muss zu dem Eindruck kommen, dass hier eine Mehrdeutigkeit vorliegt. Der sieht aber nur den Text: „Hängt die Grünen.“. Das heißt, wenn man den Text „Hängt die Grünen“ isoliert betrachtet und den nur im Vorbeifahren wahrgenommen hat, hat man dann den Eindruck, dass hier eine mehrdeutige Aussage vorliegt? Und da hat das OVG in Bautzen zurecht gesagt, nein, wenn man nur diesen Text wahrgenommen habe, sei das eine völlig eindeutige Aussage. Die Deutung wäre fernliegend, dass hier dazu aufgefordert werden soll, die Plakate aufzuhängen. Oder, Plakate aufzuhängen ist eine fernliegende Deutung, die eigentlich schon außer Betracht bleiben kann, so dass wir in dem Fall gar keine Mehrdeutigkeit haben.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Man könnte also sagen, das Verwaltungsgericht Chemnitz hat das in einer besonderen Weise parteifreundlich betrachtet. Zu suggerieren, diese Aussage „Hängt die Grünen“ in Verdingung mit diesem sehr kleinen Spruch und der dunkelgrünen Farbe dieser Partei, Der III. Weg, damit sei gemeint, die Wahlplakate aufzuhängen, ist schon sehr fernliegend. Aber das greift da an, wo wir diese mehrdeutigen Äußerungen nur dann berücksichtigen müssen, wenn sie sich auch wirklich schlüssig ergeben?
PROF. MATHIAS HONG: Es ist ein wenig unklar, ob das Verwaltungsgericht hier vielleicht davon ausgegangen sein mag, dass, wenn das direkt über dem Plakat der Grünen hängt, man abgelenkt wäre und das Kleingedruckte nicht mehr wahrnehmen würde. Das wird aber in der Entscheidung nicht so deutlich ausgeführt. So, dass ich schon Schwierigkeiten habe, nachzuvollziehen, wie das Gericht überhaupt zu dieser Mehrdeutigkeit gekommen ist. Und die OVG-Entscheidung mir vollständiger überzeugend scheint. Es gibt ein paar Punkte in der OVG-Entscheidung, die ich auch kritisieren würde, aber zumindest in dem Punkt der Mehrdeutigkeit ist die sehr überzeugend.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Es gab auch andere Fälle von Wahlplakaten, die schon einer rechtlichen Bewertung unterzogen worden. Ganz bekannt ist das Beispiel des Wahlplakats der Satire-Partei Die Partei, auf denen stand: „Nazis töten“. Wie verhält sich das jetzt zu dem Plakat „Hängt die Grünen“?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, das war ein anderer Fall, in dem anders, als in diesem Fall hier, die Mehrdeutigkeit durchaus plausibel gemacht werden kann. Die Aussage „Nazis töten“ schon als solche, schon Ihrem Wortlaut nach, erlaubt zwei mögliche Deutungen. Einerseits eine Aufforderung dazu, Nazis umzubringen. Insofern hätten wir hier eine Parallele zu „Hängt die Grünen“. Andererseits gibt es aber die Möglichkeit, das so zu verstehen, dass Bezug genommen wird darauf, dass Neonazis andere Menschen umbringen. Neonazis töten andere Menschen, in diesem Sinne kann diese Äußerung auch verstanden werden. Das ist eine Mehrdeutigkeit, die die Gerichte oder Behörden berücksichtigen müssen für die Frage, ist das eine strafbare Äußerung? Und das hat dann dazu geführt, dass diese Plakate als zulässig angesehen worden sind. Ich denke, auch zurecht. Da haben wir einen wichtigen Unterschied.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Sie haben beschrieben, dass wir hier nach dem strengen Maßstab des Bundesverfassungsgerichts bestimmte Straftaten benötigen. Und zwar, die müssen jeweils im objektiven Tatbestand gegeben sein. Welche Straftaten stehen denn hier im Raum?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, genau. Wir haben hier mehrere Straftatbestände, die hier in Betracht kommen und die auch diskutiert worden sind. Zum einen ist der Paragraph 111 des Strafgesetzbuches einschlägig. Und zum anderen die Volksverhetzung, Paragraph 130 des Strafgesetzbuches. Es kommen Varianten über die Verletzung der Menschenwürde und über die Aufstachelung zum Hass in Betracht. Das sächsische OVG hat offengelassen, ob der Paragraph 111 des Strafgesetzbuches, also Aufforderung zu bestimmten Straftaten, hier erfüllt ist. Die Gerichte legen das zurecht eng aus und verlangen relativ viel. Es muss eine ernste Aufforderung dazu sein, dass diese Straftat auch begangen wird. Und das OVG hat hier offen gelassen, ob wirklich dazu aufgefordert worden ist, diese Mitglieder der Partei aufzuhängen und zu töten. Was ganz klar Straftatbestände erfüllen würde. Aber das Gericht geht davon aus, dass es zumindest nicht in dem Eilverfahren eindeutig klären konnte, ob das hier eine Aufforderung in diesem Sinne ist. Eine große Rolle spielt der Kontext der Äußerung dann aber auch für die Volksverhetzung. Hier sind Paragraph 130, Absatz 1, Nummer 1 und 2, Strafgesetzbuch, einschlägig gewesen. Nummer 1 besagt, dass gegen Teile der Bevölkerung, oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Teil der Bevölkerung, zum Hass aufgestachelt wird. Es ist dann natürlich zu berücksichtigen, ob das hier wirklich in dieser Intensität festzustellen ist? Und Nummer 2 verlangt, dass die Menschenwürde anderer dadurch angegriffen wird, dass Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden. Eine wichtige Unterfallgruppe dieser Verletzung der Menschenwürde ist letztlich, wenn man den Lebenswert der Person abspricht. Und das ist hier natürlich möglicherweise einschlägig gewesen. Und das hat das OVG auch bejaht und gesagt, dass hier mit der nötigen Eindeutigkeit festzustellen ist, dass letztlich durch diese Aussage gesagt wird, diese Parteimitglieder der Grünen, die sind aufzuhängen, die sollen aufgehängt werden, auch wenn man das jetzt nicht wörtlich versteht im Sinne von einer Tötung, wird doch die Aussage getroffen, dass das Personen sind, die man hängen darf oder sollte. Das ihnen durch die Aussage ihr Lebenswert abgesprochen wird.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Beeindruckend fand ich bei der Passage in der Entscheidung des OVG auch, dass sich das Gericht für die Bewertung dieser Aussage, wie Sie es gerade beschrieben haben, ausdrücklich bezieht auf Geschehnisse der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wonach Angriffe auf Gesundheit und Leben politisch Andersdenkender tatsächlich verübt wurden. Ganz deutlich auch das Beispiel des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke. Aber auch andere, politisch religiös motivierte Anschläge. Wie beispielsweise der Anschlag von Halle 2019 und Hanau 2020. Dass das einfließt in die Kontextualisierung und die politische Bewertung einer solchen Aufforderung in einem Wahlplakat.
PROF. MATHIAS HONG: Ich habe ein wichtiges Tatbestandsmerkmal vom Paragraph 130 bisher noch nicht angesprochen. Nämlich, dass der öffentliche Friede gefährdet werden muss. Das, was Sie gerade angesprochen haben, das OVG Bautzen hat auf diesen Mord an Lübcke ja auch Bezug genommen, spielte bei diesem Tatbestandsmerkmal eine Rolle. Der öffentliche Friede muss gefährdet sein. Und das ist auch der Punkt, an dem ich die Entscheidung nicht vollständig überzeugend finde, weil da eine Formulierung verwendet wird, nicht im Ergebnis, aber in der Begründung, die ich problematisch finde. Da wird nämlich gesagt, das politische Klima wird hier vergiftet. Und da hat das Verfassungsgericht, ich denke zurecht, klargestellt, dass der öffentliche Friede nicht schon dadurch gefährdet wird, dass ich das politische Klima vergifte. Sondern erst dann, wenn wirklich eine Bedrohlichkeit im Sinne einer Gewalttätigkeit droht. Jetzt kann man natürlich den Kontext dieser Mordtaten heranziehen, um genau das auch zu begründen. Deswegen finde ich das auch in dem Verständnis, wie das Verfassungsgericht den öffentlichen Frieden verfassungskonform einengt, hier in unserem Fall eine Gefährdung des öffentlichen Frieden auch festgestellt werden konnte, das ist also im Ergebnis richtig. Nur diese Formulierung der politischen Klimavergiftung, die ist sehr weit und auch dazu geeignet, dass man letztlich schon doch auf die Meinung als solche (?abstellt). Und da zurückzukommen auf diesen Punkt, dass eben nicht die Meinung als solche schon der Grund für die Beschränkung sein darf. Ich denke, da muss man aufpassen, bei diesem Merkmal des öffentlichen Friedens. Und deswegen ist es grundrechtskonform eingeengt zu verstehen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Sie hatten dargestellt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen Wahlwerbung, Wahlplakate nur vorgegangen werden darf, wenn wir eben einen Verstoß gegen allgemeine Strafgesetze haben, und wenn dieser Verstoß evident ist und nicht leicht wiegt. Worin liegt denn hier genau das? Worin liegt die Evidenz? Und worin liegt das Gewicht?
PROF. MATHIAS HONG: Die Aussage, das wären Leute, die man hängen kann gewissermaßen, das ist ausreichend um den Paragraph 130, Absatz Nummer 1 und 2 in einer hinreichend evidenten Weise, also offensichtliche Weise, als verletzt anzusehen. Und dass das Ganze auch ins Gewicht fallen muss, also nicht lediglich leichtes Gewicht haben darf, geht auch daraus hervor, denke ich.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Absolut. Die Betroffenenrechtsgüter gehören zu den absoluten Höchstwerten der Verfassungsordnung. Jetzt tut sich hier ein interessantes Spannungsfeld auf, das wir gerade an diesem konkreten Fall beschrieben haben. Zum einen erkennt das Grundgesetz den politischen Parteien eine ganz besondere Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes zu und stattet sie mit besonderem verfassungsrechtlichen Schutz aus. Und zum anderen muss sich der Rechtstaat selbst schützen können vor unzulässigen Provokationen durch politische Parteien. Das haben wir an diesem konkreten Fall jetzt bewertet. Ist der Rechtstaat durch die rechtlichen Mechanismen, die wir an diesem konkreten Fall gerade diskutiert haben, hinreichend geschützt? Oder steht in ihren Augen den Feinden der rechtstaatlichen Ordnung zu viel Freiheit zur Verfügung? Zum Beispiel durch solche Provokationen? Die Freiheiten, die der Rechtstaat ja eröffnet, sukzessive zu unterwandern?
PROF. MATHIAS HONG: Ja, ich würde sagen, das ist sicherlich eine Frage, in der man extrem unterschiedlicher Meinung sein kann, und die auch entsprechend strittig diskutiert wird. Zum Beispiel, wenn es nicht um die Feinde der Freiheit geht, sondern um die Beleidigung von Personen, war ja zum Beispiel die Soldaten-sind-Mörder-Entscheidung mit ihren Maßstäben äußerst umstritten. Schon damals wurde gesagt, (?Ehrenschutz) zum Beispiel von Politkern oder von Soldaten, wird hier zu gering gewichtet. Das Verfassungsgericht geht viel zu weit mit dem Schutz der Meinungsfreiheit. Und erst recht kann man das natürlich sagen, wenn es um eine Bedrohung der Verfassungsordnung geht. Zum Beispiel die NPD-Entscheidung ist ja kritisiert worden, weil vielleicht die Situation entstehen könnte, die Partei kann nicht verboten werden, solange sie ungefährlich und nicht bedrohlich ist, kann. Wenn sie dann zu gefährlich geworden ist, dann ist es zu spät. Dann ist der Schutz nicht mehr gegeben. Ich würde da den Gegenstandpunkt beziehen und sagen, die streitbare Verfassungsordnung ist zwar streitbar, sie legt die Hände nicht in den Schoss. Sie hat Mittel, wie das Parteiverbot. Auch die Verwirkung von Grundrechten gibt es da noch im Artikel 18 des Grundgesetzes. Auch wenn dieses Mittel bisher her noch nie genutzt worden ist, steht es zur Verfügung. Und wir haben jetzt gesehen, es gibt (?Strafrechtsnormen), die auch verletzt sein können. Also, es ist nicht so. Ich denke, auch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts darf nicht so missverstanden werden, dass da nie eine Strafbarkeit möglich ist. Ich denke, diese Mittel reichen aber auch aus. In diesem Rahmen sollte dann auch den Feinden der Freiheit die Freiheit zustehen. Ein Grund, der das vielleicht unterstützen kann, ist, dass man sich fragen kann, wie effektiv ein (?strafrechtliches) Verbot, das weitergehen würde, dann tatsächlich wäre. Ob das dann dazu führt, dass diese verfassungsfeindlichen Positionen nicht mehr geäußert werden dürfen, aber natürlich im Untergrund trotzdem weiterhin vertreten werden. Oder in den Köpfen trotzdem vorhanden sind. Es ist auch wichtig, dass die Demokratie wieder ein Ventil bereit stellt, ein Protestventil, da hat man zurecht auch die Versammlungsfreiheit genannt, in dem praktisch dieser Druck auch entweichen kann und sich Luft machen kann, und geäußert werden kann. In der Entscheidung jetzt zu der Wahlwerbung hat das Verfassungsgericht gesagt, die Verfassungsfeindlichkeit der Inhalte, um die es in den Wahlwerbespots geht, reicht alleine nicht aus. Und möge sie noch so verfassungsfeindlich sein. Ich denke, das ist eine schöne Formulierung, um auszudrücken, dass dort die freiheitliche demokratische Grundordnung mit einem gewissen Selbstbewusstsein dann auch vorgeht. Jetzt kann man leider zum Beispiel in Ungarn, Polen oder in den USA sehen, dass auch eine Demokratie nicht gefeit ist davor, dass erhebliche Gefährdungen eintreten. Man kann von Glück sagen, dass in der Bundesrepublik Deutschland diese Verhältnisse zum Glück besser sind im Moment. Wir haben nicht diese Art von Gefährdung. Aber natürlich muss man dann vielleicht auch auf künftige Entwicklungen reagieren. Und für den Kontext, zum Beispiel zur Meinungsäußerung, kann das dann auch eine Rolle spielen, wie bedroht oder gefährdet die Demokratie als solche auch ist. Vielleicht kann ich einen anderen Aspekt noch mit einfließen lassen an der Stelle, der von den Verfechtern von stärkeren Einschränkungen auch ins Feld geführt wird, der mir auch einleuchtet. Das ist das sogenannte Silencing. Dass man letztlich die gegenüberstehenden Personen zum Schweigen bringt, dadurch, dass man sie einschüchtert. Dass man, gerade im Internet, in den sozialen Medien, eine Situation erzeugt, in der jemand darauf verzichtet, sich überhaupt am Diskurs zu beteiligen. An der Stelle ist natürlich die Meinungsfreiheit selbst bedroht. Das ist ein Punkt, der in der (?Dogmatik) bisher zu wenig beleuchtet wird. Und auf den zurecht auch von Kritikern hingewiesen wird. Kritikerinnen vor allem. Dass dort auch eine Bedrohung der Meinungsfreiheit selbst dadurch entstehen kann, dass man sich selbst eingeschüchtert fühlt und vielleicht darauf verzichtet, sich zu äußern.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Und da die Schutzpflichtdimension eigentlich noch stärker eingreift angesichts eines sich verstärkend negativen öffentlichen Klimas. Zum Abschluss des Gespräches möchte ich gerne den Bogen noch ein wenig weiter spannen. Wir haben im vorliegenden Fall ja eine scharfe, öffentliche Provokation, die in besonders krasser und aufsehenerregender Weise in das Blickfeld der Öffentlichkeit tritt. Wir können aber schon seit Jahren beobachten, dass sich die öffentliche Gesprächskultur sowohl im politischen, als auch im gesellschaftlichen Raum verschärft und verschlechtert. Das lässt sich ja zuletzt nicht auch in Coronazeiten und in Debatten über Coronaschutzmaßnahmen beobachten. Wie kann und wie sollte der Staat auf solche Entwicklungen reagieren?
PROF. MATHIAS HONG: Ich denke, der Staat sollte reagieren. Das ist eine neue Bedrohungslage, die wir zum Beispiel in den sozialen Medien haben. Deswegen finde ich zum Beispiel das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Netz-DG mit seinem Ansatz, zumindest die Plattformbetreiber dort in die Pflicht zu nehmen, um zum Beispiel Bußgelder verhängen zu können, im Ansatz zutreffend und richtig und begrüßenswert. Ich denke, das ist verfassungsrechtlich auch durch die Schutzpflicht für die Meinungsfreiheit unterfüttert, ohne dass man jetzt sagen muss, das Gesetz ist in der Weise geboten gewesen. Aber ich denke, das erfüllt auch einen Schutzauftrag in dieser Richtung. Das Verfassungsgericht hat zurecht von Anfang an die Meinungsfreiheit auch als eine positive Freiheit verstanden. Deren Gewährleistung auch in der Wirklichkeit sichergestellt werden muss. Und hat deswegen ja auch zum Beispiel die Figur der mittelbaren Drittwirkung entwickelt. Die ist für diese Sphären sehr wichtig, weil die ganzen großen Plattformen Twitter, Facebook, Instagram, alle privatrechtliche Unternehmen letztlich sind. Also private Betreiber, die nicht direkt an die Grundrechte gebunden werden. Sondern da haben wir nur eine mittelbare Bindung, aber wir haben immerhin auch diese mittelbare Bindung. Und ich denke, das ist auch wichtig und richtig, dass dann der Gesetzgeber dort entsprechende Vorkehrungen trifft. Auf der anderen Seiten darf dann die Meinungsfreiheit natürlich nicht unter die Räder geraten. Ich denke, dass im Netzwerkdurchsetzungsgesetz diese Gefahr zumindest besteht. Unabhängig von der schwierigen und umstrittenen Frage, wie viele Effekte von Overblocking jetzt tatsächlich eingetreten sind durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, gibt es da ein strukturelles Ungleichgewicht, das dort angelegt wird. Weil eben für effektive Mechanismen, (?dass) man auch gelöschte oder gesperrte Äußerungen wieder zugänglich machen kann, also Putback. Putback-Verfahren sind dort nicht vorgesehen. Und die sind auch nach der neuesten Regelung, die jetzt im Juni eingeführt worden ist, der Paragraph 3b, über die Gegenvorstellungen, meiner Meinung nach nicht ausreichend, um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen. Wir haben den Digital Services Act, der gerade auf der europäischen Ebene diskutiert wird. Da gibt es beunruhigende Entwicklungen, wenn jetzt im europäischen Parlament Netzsperren gegen die Plattformen diskutiert werden, ohne Rücksicht auf die Illegalität der Inhalte, die dort veröffentlicht werden. Ich denke, da gibt es viel Gesprächsbedarf. Da ist es wichtig, dass man die Balance nicht verliert. Und die Meinungsfreiheit einerseits lebendig hält, auch im Internet. Andererseits aber auch die massiven Bedrohungen, die davon ausgehen, ich habe ja Silencing gerade schon erwähnt. Und die (?schützt) die Meinungsfreiheit dann eben auch, dass man der auch Rechnung trägt. Der Gesetzgeber steht da wirklich vor einer nicht zu beneidenden Aufgabe. Ich denke, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist einerseits interessant, dass man die Herausforderung zumindest einmal angegangen ist. Das wird auch international so wahrgenommen. Andererseits habe ich Probleme genannt, die dort auch festzustellen sind. Und ein Problem, das ich noch nicht angesprochen habe, ist die Durchsetzung. Ich glaube, auf der Durchsetzungsebene, gerade was auch die Staatsanwaltschaften angeht, ist das Ganze noch sehr zahnlos. Das spiegelt sich dann auch in den Realitäten wider, die viele erleben, wenn sie sich in sozialen Netzwerken bewegen. Dass es zwar ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz gibt, das aber keine große Rolle spielt. Dass es zwar Straftatbestände gibt, dass die aber auf der Durchsetzungsebene gar nicht unbedingt wirkungsvoll durchgesetzt werden. Auch da gibt es positive Entwicklungen. Ich glaube, diese Herausforderung haben viele Staatsanwaltschaften auch angenommen. Es gibt Programme, die dem systematisch entgegenwirken wollen, dass das dann völlig ungeahndet bleibt, was im Netz alles passiert. Ich denke aber, da gibt es noch viel zu tun.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Dann möchte ich mich bei Ihnen, lieber Professor Hong, sehr herzlich bedanken für das tolle und anregende Gespräch, (B: Ich danke auch!) auch das bestärkende Gespräch im Blick auf die Rahmenbedingungen unserer Verfassungsordnung. Und freue mich, wenn Sie bei Gelegenheit wieder zu Gast bei uns sind!
PROF. MATHIAS HONG: Gerne, vielen Dank!
Erwähnte Gerichtsentscheidungen
Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts im Original findet ihr hier.
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