Jurafuchs Podcast #015 | Muss ein Mieter Gewerbemiete entrichten, wenn er das Gewerbe wegen einer Corona-Verordnung nicht öffnen darf? | BGH, Urteil vom 12.01.2022 – XII ZR 8/21
Zusammenfassung
Frauen sind im Bundestag und den Länderparlamenten unterrepräsentiert. Eine paritätische Besetzung der Wahllisten politischer Parteien abwechselnd mit Männern und Frauen
In der aktuellen Folge sprechen wir über Mietzahlungspflicht bei Corona-bedingter Betriebsschließung. Muss ein Mieter Gewerbemiete entrichten, wenn er das Gewerbe wegen einer Corona-Verordnung nicht öffnen darf? Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem viel beachteten Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) damit auseinandergesetzt.
Professor Stephan Lorenz, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, ordnet diese aktuelle Entscheidung ein: Er erklärt, warum in diesem Fall kein Mietmangel vorliegt und warum sich hier die Frage stellt, ob eine Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) vorliegt. Er erläutert die Voraussetzungen von § 313 BGB und diskutiert, ob dem Mieter das Festhalten an den ursprünglichen Vertragsbedingungen hier unzumutbar ist. Im Zentrum steht die Diskussion der Rechtsfolgen: Teilen sich Mieter und Vermieter einfach die Kosten halbe halbe? Schließlich ordnet Professor Lorenz die Entscheidung in den größeren Kontext ein und vergleicht sie mit anderen Corona-Fällen. Zum Abschluss gibt Professor Lorenz einen Tipp, wie man mit § 313 BGB im Examen umgeht.
Interview (Transkript)
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Willkommen bei Spruchreif, dem Rechtssprechungspodcast von Jurafuchs, in Kooperation mit dem Nomos Verlag. Mein Name ist Wendelin Neubert. Und zusammen mit meinen Gästen gehe ich dem Kontext und den Hintergründen aktueller Gerichtsendscheidungen auf die Spur.
PROF. STEPHAN LORENZ: Das Schöne an den Entscheidungen ist, dass sich der BGH sehr schön an den Tatbestandvoraussetzungen runter arbeitet. Das Risiko der Verwendung der Mietsache trägt grundsätzlich der Mieter. Es muss tatsächlich so sein, dass das Festhalten an der vereinbarten Regelung zu einem mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin untragbarem Ergebnis führt.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Mein Gast ist Professor Stephan Lorenz. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für bürgerliches Recht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Und er ist Mitglied des bayerischen Verfassungsgerichtshofes. Lieber Professor Lorenz, schön, dass Sie heute zu Gast bei Spruchreif sind.
PROF. STEPHAN LORENZ: Danke für die Einladung. Ich freue mich hier zu sein.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Sehr schön. Wir sprechen über Mietzahlungspflicht bei coronabedingter Betriebsschließung. Muss ein Mieter Gewerbemiete entrichten, wenn er das Gewerbe wegen einer Corona-Pandemie nicht öffnen darf? Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem viel beachteten Urteil vom 12.01.2022 damit auseinandergesetzt. Lieber Professor Lorenz, könnten Sie uns zum Eingang des Gesprächs einmal in den Sachverhalt mitnehmen.
PROF. STEPHAN LORENZ: Ja, sehr gerne. Es ging um ein Ladengeschäft des Textildiscounters KiK irgendwo in Sachsen. Ich weiß nicht mehr genau wo. Und das musste aufgrund einer Allgemeinverfügung des Infektionsschutzes des zuständigen sächsischen Staatsministeriums für einen Monat schließen. Vom 19. März 2020 bis zum 19. April 2020. Und dann hat KiK gesagt, dass sie keine Miete mehr zahlen, da sie ja nichts verkaufen können. Dagegen ist der Vermieter gerichtlich vorgegangen. Die Miete war 8.000 Euro. Das Landgericht Chemnitz hat in erster Instanz zur Mietzahlung verurteilt. Das ging zum OLG Dresden, welches im Hinblick auf Geschäftsgrundlage 313 eins, BGB gemeint, dass hier erstens, ein Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegt. Und hat in salomonischer Weisheit gesagt, dass das Risiko hier aufgeteilt wird. Mit der Folge, dass das Mieter und Vermieter zur Hälfte tragen müssen. Und hat dann nur zur Zahlung der Hälfte der Miete verurteilt. Das hat dem Vermieter nicht geschmeckt, er ist zum BGH gegangen. Auch der Beklagte hat Klageabweisungsantrag gestellt, ist in Anschlussrevision gegangen. So kam das Ganze zum BGH.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Danke. Und in die Klausur, wie in diesem Fall, steigt man ein über die Anspruchsgrundlage, Paragraph 535, Absatz zwei, BGB: Der Mieter ist verpflichtet dem Vermieter die Miete zu entrichten. Jetzt haben wir diese Mietzinszahlungspflicht des Mieters. Jetzt könnte man sich die Frage stellen: Hat dieser Gewerberaum von KiK wegen der Problematik diesen wegen der Corona-Verordnung nicht öffnen zu können einen Mangel? Dass wir uns über den Mangelbegriff unterhalten.
PROF. STEPHAN LORENZ: Richtig. Wenn wir dann einen Mangel haben, sind wir in der mietvertraglichen Minderung drin, welche ipso jure funktioniert. Da müsste nicht einmal mehr Gestaltungs-mäßig etwas erklärt werden. Hier geht es also um die Frage: Liegt hier ein Mangel der Mietsache vor, nach 536, Absatz eins, BGB? Das hat der BGH vollkommen zurecht verneint. Die Entscheidung ist auch nicht neu, da der BGH sich hier auf eine schon ältere Entscheidung zum Rauchverbot bezieht. Hier geht es um die Frage, inwieweit öffentlich-rechtliche Beschränkungen einen Sachmangel der Mietsache begründen können. Um es kurz zu sagen: Das ist möglich, aber nur, wenn es einen Bezug zum körperlichen Zustand oder zur Mietlage selbst hat. Und nicht, wenn es ein allgemeines Lebensrisiko betrifft. Wenn zum Beispiel behördlich der Betrieb einer Arztpraxis in einem Wohnhaus nicht möglich ist, weil nicht genügend Parkplätze da sind, dann kann das ein Mangel sein, da es mit der Lage zu tun hat. Oder in einem baurechtlich besonders ausgewiesenem Gebiet ein Gewerbe nicht betreiben zu dürfen. Hier war das aber nicht der Fall, denn es bezog sich nicht speziell auf die Lage des Gebäudes. Sondern speziell auf Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz. Und die Tatsache, dass der Laden in einem Pandemiegebiet liegt, betrifft das gesamte Gebiet und ist somit nicht der hinreichende Bezug zur körperlichen Beschaffenheit, Zustand oder Lage der Sache. Deswegen kein Mietmangel. Man könnte auf die Idee kommen, dass ein Mietmangel vorliegt, wenn der Vermieter eine bestimmte vertragliche Garantie dafür übernommen hat. Beispielsweise, wenn er in den Vertrag geschrieben hat: „Du wirst da unbehelligt von allen möglichen Einwirkungen deinen Laden betreiben können.“ Das hat der Beklagte versucht einzuwenden, da die Zweckbestimmung im Mietvertrag stand. Also zum Betrieb eines Ladengeschäftes wurde zugesichert, dass das Ladengeschäft betrieben werden kann. Somit fehlte es an einer vereinbarten Beschaffenheit. Es gibt im Mietrecht den, wenn auch nicht ganz klaren, Unterschied zwischen objektivem und subjektivem Fehlerbegriff. Da hat der BGH zurecht gesagt, ich zitiere: „Ein redlicher Mieter dieses Leistungsversprechen nicht dahin verstehen darf, dass die Nutzung unter allen erdenklichen Umständen gewährleistet wird.“ Deswegen sind wir mit Sicherheit nicht im Gewährleistungsrecht drin, da es diesen Maßstab übersteigt.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Dann kommen wir hier zu der Norm, die im Mittelpunkt dieses Falles steht und um die sich der ganze Fall spannt, Sie hatten es gerade genannt: Paragraph 313, Absatz eins, BGB, die Störung der Geschäftsgrundlage. Das ist eine besondere Norm im Schuldrecht. Vielleicht können Sie diese Norm ins Schuldrecht für uns einordnen.
PROF. STEPHAN LORENZ: Zuerst muss man sagen, dass dieser 313, als er 2002 ins Gesetz kam, so als Erzählnorm kritisiert wurde. Die Lehre der Geschäftsgrundlage, wie sie in 313 steht, ist viel, viel älter und seit langem anerkannt. Ich spare mir die ganze Genealogie. Schon im römischen Recht gab es die Clausula rebus sic stantibus. 2002 hat man mit der damaligen Schuldrechtsreform versucht, den State of the Art im BGB wieder zu verankern. Dass also das BGB alles wiedergibt und man nicht tausend andere Sachen dazu lernen muss, welche da nicht drinstehen. Neben der culpa in contrahendo, die man damals in 311, Absatz zwei reingeschrieben hat, die Kündigung in 314, gehörte auch die Geschäftsgrundlage dazu. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht Mühe gegeben hat und nicht auch sehr ernsthaft Tatbestandsvoraussetzungen geschildert hat. Und das Schöne an dieser Entscheidung ist, dass der BGH sich sehr schön an den Tatbestandsvoraussetzungen da runter arbeitet. Das ist sozusagen ein altes Rechtsinstitut, älter als das BGB, aber erst jung im BGB drin. Und hat einen sehr weiten Anwendungsbereich. Sie ist ein bisschen ein Auffangtatbestand im (?Leistungsstörungsrecht). Also was nicht unter unmöglich fällt kann da reinkommen. Es hat aber auch eine gewisse Komplementärfunktion im allgemeinen Teil, sowas wie der gemeinsame Motivirrtum und dergleichen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Sie hatten es gerade beschrieben, diese Norm hat durch den Gesetzgeber, durch die Kodifizierung, 2002 im Text Tatbestandsvoraussetzungen bekommen. Der BGH geht die sehr genau durch in diesem konkreten Fall. Können Sie uns die einmal kurz skizzieren?
PROF. STEPHAN LORENZ: Ja, also zunächst müssen wir das, wie es Juristen machen, definieren was die Geschäftsgrundlage ist. Sie sehen ja, dass im 313 drinsteht, dass es Umstände geht, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind. Und damit ist nach einem alten Satz, der schon seit Jahren vom BGH gesagt wird, in Bezug auf die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen der Parteien. Oder zumindest der bestehenden Vorstellungen einer Partei, die der anderen Partei erkennbar sind und von ihr nicht beanstandet werden über das Vorhandensein, den künftigen Eintritt oder das Ausbleiben von bestimmten Umständen. Kurz gesagt, es ist weniger eine Bedingung. Man könnte ja im Vertrag reinschreiben: Dieser Vertrag gilt nicht, wenn eine Pandemie ausbricht. Oder: Ich zahle weniger Miete, wenn eine Pandemie ausbricht. Das könnte man natürlich machen. Es ist also weniger als eine Bedingung und mehr als nur eine einseitige Vorstellung. Denn die wäre natürlich relevant. Es liegt genau dazwischen.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: In der Lehrbuchliteratur sagt man, es gibt drei Elemente: ein reales, ein hypothetisches und ein normatives Element. Wie würden Sie das einordnen?
PROF. STEPHAN LORENZ: Man kann das so unterteilen. Ich finde, wenn man sich damit beschäftigt, ist sozusagen das normative Element erstmal nicht so hilfreich. Man schaut sich die Norm an und ob man es normatives Element nennt ist nicht so wichtig. Wichtig ist aber die Abgrenzung des realen Elementes von den restlichen Elementen. Bei diesem realen Element geht es schlicht um die Frage, ob wir eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage haben oder nicht. Also, ob etwas Geschäftsgrundlage ist und ob die schwerwiegend verändert wird. Das kann man reales Element nennen, weil es nicht genügt, dass die Geschäftsgrundlage eingreift. Das wird häufig übersehen. Es braucht noch ein bisschen mehr. Ob man diese restlichen Elemente normative oder subjektive Elemente nennt, ist nicht wichtig. Das liegt daran, dass ich nicht so gern am Gesetz festhalte.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Dann lassen Sie uns das doch machen, am Gesetz festhalten. Sie haben gesagt, dass wir erstmal Umstände brauchen, die zur Vertragsgrundlage geworden sind und die sich nach Vertragsschluss geändert haben. Wie liegt es damit hier in diesem ersten Schritt?
PROF. STEPHAN LORENZ: Wer hat beim Abschluss eines Vertrages daran gedacht, dass eine Pandemie ausbricht und öffentlich-rechtlich die Läden geschlossen werden? Damit ist wohl alles klar. Um bei der Definition des BGH zu bleiben ist das die gemeinsame Vorstellung vom Ausbleiben bestimmter Umstände in der Zukunft. Da hat niemand daran gedacht. Redlicher Weise hätte man da eine Regelung dafür getroffen, wenn man daran gedacht hätte. Das da natürlich die Vorstellung nicht konkret da ist, dass das ausbleibt, sondern nur subkutan mitläuft, ist vollkommen klar. Das niemand dran gedacht hat, dass eine Pandemie über uns hereinbricht und so etwas passiert. (I: Die auch so massive Auswirkungen hat.) Ja. Wenn sich beispielsweise das Ladenschlussgesetz ändern würde und sagen würde, ein neuer Feiertag kommt oder samstags darf nicht mehr geöffnet werden oder ähnliches. Das wäre sicher etwas anderes.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Also diese massiven Auswirkungen hat keiner vorhersehen und … #00:11:25#. Dann haben wir den ersten Schritt des Gesetzestextes abgearbeitet. Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt. Diese Umstände müssen sich so schwerwiegend verändert haben, das ist auch klar, das haben wir besprochen. Diese Parteien hätten diesen Vertrag nicht so geschlossen, wenn sie diese Entwicklung vorausgesehen hätten. Da würde der Vermieter vielleicht sagen, er hätte den Vertrag schon so geschlossen.
PROF. STEPHAN LORENZ: Aber ein Vertrag hat ja zwei Parteien. Dieser Satzteil mit dem „nicht so geschlossen“ ist schon richtig. Wir müssen aufpassen, dass wir da nicht in ein anderes Rechtsinstitut reingehen, welches hier keine Rolle spielt. Nämlich die ergänzende Vertragsauslegung. Die übrigens sehr nahe an der Geschäftsgrundlage ist. Manchmal ist es ehrlicher mit der Geschäftsgrundlage zu kommen, als mit hypothetischen (?Parteien). Vielleicht noch kurz zur Geschäftsgrundlage. Man unterscheidet in Fallgruppen, der objektiven und subjektiven Geschäftsgrundlage. Das sind allerdings nur Phänomene. Subjektive Geschäftsgrundlagen sind Dinge, wie Motivirrtum und dergleichen. Beispielsweise tauschten da Leute Grundstücke und dachten, diese sind gleich groß, was sie nicht sind. Solche Dinge. Hier ist eben die objektive Geschäftsgrundlage. Also die Vorstellung von der Abwesenheit solche schweren Erschütterungen, wie Naturkatastrophen und dergleichen. Man nennt es hier die sogenannte große Geschäftsgrundlage.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Wir haben den ersten Teil dieser Norm, schwerwiegende Entfernung der Umstände. Die Parteien hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Jetzt sagt der Text es kommt die Rechtsfolge. Aber so weit, nämlich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag einem Teil nicht zugemutet werden kann. Das ist der Kern dieses Falls: Was ist die Zumutbarkeit, wann ist die gegeben?
PROF. STEPHAN LORENZ: Es ist zunächst wichtig über die Verteilung des Vertragsrisikos zu sprechen. Auch wenn man es unter der Überschrift der Unzumutbarkeit machen würde, sollte man doch extrapolieren, wie hier das Vertragsrisiko aussieht. Zu Recht geht hier der BGH auf das Mietvertragsrecht zurück und sagt: „Das Risiko der Verwendung der Mietsache trägt grundsätzlich der Mieter.“ Sieht man auch am 537, wo drinsteht, dass man von der Mietzahlung nicht aus Gründen persönlicher Verhinderung die Mietsache zu benutzen befreit ist. Die Nutzbarkeit ist zunächst von der gesetzlichen Risikoverteilung her ein spezifisches Risiko des Mieters. Was noch lange nicht heißt, dass es auch in diesem Fall so ist. Wenn man über die Verteilung des Vertragsrisikos spricht, muss man aber natürlich die Basic Risiken eines Vertrages abgrenzen. Das Nutzungsrisiko ist das des Mieters. Wenn beispielsweise bei KiK Dinge verkauft werden, wo es keinen Markt dafür gibt, die Leute sagen: „Wir wollen nicht mehr billigproduzierte Dinge aus Fernost kaufen, kein T-Shirt mehr für fünf Euro.“ Und so weiter. Sie kennen die Diskussion um KiK. Das ist dann alleine das Vertragsrisiko von KiK. Keine Frage. Hier geht es aber um etwas anderes. Deswegen ist hier zunächst einmal die Frage: In welche Risikosphäre fällt denn so etwas? Sie haben an meinen Abgrenzungsbeispielen gesehen, dass das ein Risiko ist, welches nicht allein auf die Mieterseite fällt. Sondern der BGH spricht von einem allgemeinen Lebensrisiko. Also ein Risiko das uns alle gleichermaßen trifft und nicht spezifisch das Verwendungsrisiko des Mieters.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Man kann den 313 jetzt nicht missbrauchen, wenn man merkt, man hat eine fehlerhafte Geschäftsentscheidung getroffen. Genau diese enttäuschte Gewinnerwartung oder die enttäuschte Möglichkeit überhaupt den Laden zu öffnen hat nichts mit einer fehlerhaften Geschäftsentscheidung zu tun.
PROF. STEPHAN LORENZ: … #00:15:33# schwebt über 313. Und 313 ist keine Ausflucht aus Verträgen, die in irgendeiner Weise nicht geklappt haben. Es geht immer über das Risiko hinaus. Wir kennen solche Fälle und es könnte jetzt auch wieder relevant werden. Stellen Sie sich vor ich wäre Ölimporteur oder importiere Dinge, die stark vom Energiemarkt abhängen. Jetzt haut es mir die Produktionspreise hoch, wegen der Krise, die wir im Moment haben. Und ich habe schon unter Wert verkauft. Das wären auch so Fragen, wo man möglicherweise in die Nähe von 313 kommt. Allerdings mit anderen Rechtsfolgen. Aber dazu kommen wir ja später.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Okay, wie Sie es aufgezeigt haben, ist die Risikoverteilung kein gewöhnliches Verwendungsrisiko des Mieters. Jetzt muss trotzdem noch eine Unzumutbarkeit an dem Vertrag festzuhalten bestehen. Wie ist es damit, wann ist diese Unzumutbarkeit anzunehmen?
PROF. STEPHAN LORENZ: Da muss man jetzt aufpassen. Vorweg ist es so, dass nicht jede einschneidende Veränderung der erwarteten oder nicht erwarteten Verhältnisse eine Vertragsanpassung rechtfertigt. Sondern es muss so sein, dass das Festhalten an einer vereinbarten Regelung zu einem mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin untragbaren Ergebnis führt. Und für die eine Partei schlechthin nicht mehr zumutbar ist. Das bedeutet nicht, dass da Existenzgefährdung da sein muss. Das sollte man nicht verwechseln. Der BGH sagt dies gleich danach noch mit einem Satz: „Existenzgefährdung ist nicht erforderlich.“ Aber nochmal, es muss mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbar sein, nicht zumutbar sein. Jetzt kommen wir in den schwammigen Teil der Prüfung rein. Das muss man dann wieder unter umfassender Interessenabwägung, Würdigung aller Umstände und so weiter kommt dann da rein. Eine Norm kann da nicht anders arbeiten. Ist es für eine Partei vereinbar das Risiko den vermieteten Laden nicht mehr betreiben zu können alleine zu tragen? Das würde ich bejahen. Das bejaht auch der BGH. Das … #00:17:46# noch nicht die Rechtsfolgen. Was ja das eigentlich Spannende an dieser Entscheidung hier ist.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Absolut. Wenn die Risikoverteilung so ist, wie Sie beschrieben haben, dass das komplette Schließen über einen längeren Zeitraum nicht einseitig zumutbar sein kann, ist relativ stark erkennbar. Gerade, weil die Einnahmemittel, um den Mietzins zu entrichten, vollkommen wegfallen.
PROF. STEPHAN LORENZ: Genau, so sieht es aus. Das war bis dahin ziemlich unstreitig. In der untergerichtlichen Rechtsprechung gibt es viele Entscheidungen dazu. Den Weg, den wir in unserer schönen Unterhaltung darüber bis jetzt gegangen sind, da muss der BGH gar nicht zwingend klärend eingreifen. Der hat da nur nochmal rekapituliert. Die spannende Frage hier ist auf der Rechtsfolgenseite, wie macht man das? Sie haben eine wichtige Sache schon gesagt, nämlich, dass eben auch die Vermieterseite gesehen werden muss. Das betont der BGH hier besonders. Ich glaube, das ist tatsächlich auch wichtig. Vor allem im Wohnraummietrecht, aber auch im Gewerberaummietrecht, haben wir immer so einen mieterseitigen Blick. Der arme Mieter muss zahlen und kann nichts mehr verkaufen. Es ist nicht jeder Vermieter eine großkapitalistische Wohnungs- oder Ladengesellschaft. Sondern das sind ja möglicherweise auch Leute, die selber Miete zahlen, wenn sie untervermieten. Oder das Kapital beschaffen müssen und so weiter. Also man muss vorsichtig sein vor einseitigen Blicken. Und dafür ist die Entscheidung auch … #00:19:19#.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Dann kommen wir jetzt zu dieser spannenden Rechtsfolgenseite. Wie ist das denn? Wir haben die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, die Störung der Geschäftsgrundlage ist da. Das Festhalten an dem Vertrag, so wie er bisher ist, ist unzumutbar. Was folgt auf Rechtsfolgenseite?
PROF. STEPHAN LORENZ: Der BGH wendet sich hier gegen diese pseudosalomonische Verteilung der untergerichtlichen Rechtsprechung, die gesagt hat: „50:50.“ Und das hat so einen rudimentären Gerechtigkeitsgehalt. Aber er sagt, da müsse man schon genauer hinschauen. Das finde ich auch ziemlich richtig. Und zwar unter dem Eingangssatz: „Man muss auch die Interessen des Vermieters betrachten.“ Das halte ich in der Tat für richtig. Es ist ja nun so, dass der Staat ganz schön in die Tasche gefasst hat in diesen Fällen, indem er etwa Ausfälle gezahlt hat, Beihilfen gegeben hat und dergleichen. Das ist das eine. Das zweite ist, dass man als Mieter in einer solchen Situation nicht einfach die Füße hochlegen und sagen kann: „So, jetzt kann ich nichts mehr verkaufen. Jetzt hole ich mir die Hälfte der Miete zurück.“ Sondern es gibt ja auch Möglichkeiten seinen Verdienstausfall geringer zu halten. Ich erinnere an solche Sachen wie „Click&Collect“ und so etwas, was Läden gemacht haben. Mit anderen Worten, der BGH sagt: „Erstens: Man muss schauen, welche staatlichen Hilfen hat jemand bekommen?“ Er sagt zurecht, dass es sich um dauerhafte staatliche Hilfen handeln muss. Wenn es jetzt nur ein Darlehen ist, bringt das nichts. Aber verlorene Zuschüsse und dergleichen. Das muss derjenige, der hier einen Anspruch auf Vertragsänderung geltend macht auch so darlegen. Denn so ist der 313 gedacht, er ist eine Anspruchsgrundlage. Mit anderen Worten, er kann nicht sagen: „Mein Laden war dicht.“ Sondern er muss sagen: „Ich habe nur so und so viele Beihilfen bekommen.“ Das muss alles er und nicht die andere Seite bringen. Und muss auch darlegen, welche sonstigen Maßnahmen er getroffen hat, um seinen Verlust geringer zu halten. Wie zum Beispiel Kurzarbeitergeld für Angestellte und dergleichen. Das läuft in die Gesamtkalkulation eines Unternehmens hinein. Das darf nicht nur rein auf die Miete bezogen werden. Und der BGH sagt eben hier: „Der Mieter muss in einem solchen Fall nachweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind.“ Und er muss das deshalb, weil er sich auf eine für ihn günstige Anspruchsgrundlage beruft. Dies kommt in der Entscheidung nicht so klar hervor. Das ist die prozessuale Seite. 313 sagt: „Man hat einen Anspruch darauf, dass der Vertrag geändert wird.“ Natürlich wird vor Gericht häufig in einer Art (?geschlichterlichem) Gestaltungsakt direkt auf diese Leistung oder die Rückzahlung geklagt. Aber es bleibt dabei. Es ist eine Anspruchsgrundlage und wer sich darauf beruft, muss nach den allgemein bekannten Regeln die Voraussetzungen beweisen. Dann muss er sagen, was er bekommen hat und was er hätte bekommen können. Also wenn die zum Beispiel solche Maßnahmen überhaupt nicht beantragen, wegen Uninformiertheit und dergleichen, dann fällt das eben gerade nicht rein. So endet diese Entscheidung mit einem kurzen: „So geht es nicht.“
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Also diese quotale Lösung, die teilweise vertreten wurde vom OLG Dresden, hatte vermeintlich den Charme des einfachen. Dieser Charme spricht auch darauf, dass diese Situation im April 2020 zu Beginn der Pandemie, als es unübersichtlich war. Und man ein bisschen darauf schaute, wie es gelöst werden konnte, dass es für alle in Ordnung war. Ich finde es spannend, dass der Bundesgerichtshof sich hier die Norm genau anschaut und sich für die Rechtsfolgenseite so stark macht. Hat Sie das überrascht?
PROF. STEPHAN LORENZ: Mich persönlich hat das nicht überrascht. Aber nur deshalb, weil ich in so einem COVID-Buch mitgeschrieben habe, auch genau darüber. Und mich immer gegen dieses „50:50“ gewehrt habe. Aber weil Sie es vorhin angedeutet haben, Herr Neubert, ich glaube nicht, dass eine Quote vom Tisch ist. Es ist die Frage jetzt, wo setze ich die Quote an? Denn nehmen wir mal an unserem Mieter gelingt es jetzt hier konkret darzulegen, dass er so und so viele Beihilfen bekommen hat. Dass er den Verlust nicht anderweitig vermeiden oder verringern konnte, durch staatliche Beihilfen oder Kurzarbeit. Dass er nicht „Click&Collect“ machen konnte. Dann bleibt ja was übrig. Und wenn da was übrig bleibt, spricht meines Erachtens nichts dagegen, dann zu sagen, dass dann dieser Quotient, der da übrig bleibt, dann „50:50“ verteilt wird. Dieser immanente Gerechtigkeitsgedanke „Du kannst nicht dafür, ich kann nichts dafür. Also tragen wir es zur Hälfte“, der könnte möglicherweise schon noch kommen. Aber dann eben nur, wenn ich einen Modellrechnung mache: „Du zahlst 8.000 Miete. Diese Miete ist aber nicht reiner Verlust, weil das und das hast du bekommen. Und weil du das andere hättest bekommen können, das hast du aber nicht gemacht. Wird dir aber angerechnet.“ Und wenn wir dann noch sagen, beim Verdienstausfall, ich mache jetzt Fantasiezahlen, es bei 3.000 Euro bleibt, dann sagt man: „Okay, das machen wir jetzt „50:50“.“ Dann sind wir aber bei 1.500 und nicht mehr bei 4.000. Dieser „50:50“-Gedanke „keiner kann was dafür und das teilen wir beide auf“, ist nicht komplett vom Tisch. Es ist nur die Frage, wann setze ich diesen Quotienten ein.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Danke. Das wird jetzt wahrscheinlich die untergerichtlichen Beschäftigten in vielen Fällen-, da stellt sich wahrscheinlich auch die Frage, gerade wenn man eine Vielzahl von solchen Fällen hat, die es in der Pandemie gab: Wie gewappnet sehen Sie die Gerichte, die Zivilgerichte mit einer Klagewelle umzugehen? Oder sehen Sie hier gar nicht das Risiko einer Klagewelle?
PROF. STEPHAN LORENZ: Also Klagewellen hat die Justiz ja zurzeit sehr viele. Ich sage nur: „Diesel“. Das ist ein allgemeines Problem. Jetzt ist ja ganz interessant, darüber haben wir noch nicht gesprochen, es gibt ja so eine Sonderregelung zur Geschäftsgrundlage. Die erwähnt der BGH hier auch. Die aus zeitlichen Gründen noch nicht anwendbar war. Die steht in diesem berühmten Artikel 240 EGBGB drin. Da haben wir eine Vermutung für dieses reale Element. Und diese Norm in diesem Artikel 240, Paragraph sieben, EGBGB, über die ist sehr viel gelacht und (?kritisiert) worden als sie kam. Sie war hier ratione temporis wohl noch nicht anwendbar. Oder hält sich sogar darüber, ob diese Norm eine echte Rückwirkung hat oder nicht. Ist theoretisch ganz interessant. Sagt aber zurecht: „Es ist egal.“ Weil in dieser Norm nichts besonderes drinsteht. Weil es nur als Vermutung steht für das reale Element. Mit anderen Worten, dass wir hier eine große Geschäftsgrundlage haben würde nie jemand bezweifeln. Da ist ziemlich gemeckert, fast gehöhnt worden als das kam: „Jetzt macht der Gesetzgeber so eine sinnlose Norm, das wissen wir doch alle.“ Jetzt habe ich überlegenes Fachwissen, da ich mich damit beschäftigt habe. Aber er hat dazu gesagt: „Freunde, in diesen Fällen haben wir eine große Geschäftsgrundlage für ein reales Element schon mal da.“ Und er hat ein Beschleunigungsgebot in Paragraph 44, EGZBO gemacht. Keinen Schreck kriegen, das müssen sie alle da draußen nicht wissen. Da steht drin, dass in solchen Verfahren zur Anpassung der Miete für Gewerbemiete, dass die vorranging und beschleunigt zu verhandeln sind. Hat er im selben Gesetz gemacht. Und zwar, frühester erster Termin nach einem Monat nach Zustellung der Klageschrift. Und das ist schon heftig. Warum hat er das gemacht? Ich glaube, er hat das nicht gemacht, damit die Justiz jetzt besonders belastet wird. Sondern möglicherweise gibt sowas auch einen Anstoß zur Verhandlung. Ich glaube, solche Dinge sollten sich am allerbesten auf dem Verhandlungsweg lösen, denn eigentlich gibt der 313 Anspruch auf Verhandlung. Wenn ich meinem Mieter oder Vermieter-, da haben sich viele tatsächlich zurückgelehnt und gesagt: „Ist mir egal.“-, wenn ich dem zeigen kann im Artikel 240, Paragraph sieben des EGBGB, da steht sowas drin und hier noch das EGZBO, das wird alles sehr flott gehen. Dann steigert das möglicherweise die Verhandlungsfähigkeit. Ich glaube, das wollte der Gesetzgeber damals, indem er ein paar Grundlagen darstellt. Deswegen ist es eigentlich eine ganz gute Regelung. Ich kann mir vorstellen, dass das BGH-Urteil eher dazu führt, dass weniger Gerichte belastet werden. Weil die Parteien, wenn sie einigermaßen vernünftig sind, sehen: „Wir müssen hier eine Einigung finden, sonst sind wir in einer Black Box drin.“ Möglicherweise pfeife ich da in den Wald, weil ich mir das wünschen würde. Die Justiz hat genug mit anderen Dingen zu tun. Aber deswegen glaube ich jetzt nicht an die große Welle, sondern an eine Klarstellung. Auch an die ganzen Glücksritter, die sagen: „Jetzt hole ich mir die Hälfte der Miete zurück.“
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Zumal viele Mieter und Vermieter bei langanhaltenden Gewerbeverträgen Interesse daran könnten diese Beziehung aufrecht zu erhalten, was Gewerbeobjekte betrifft. Dieser Fall ist ja öffentlichkeitswirksam verfolgt worden. Der Fall ist durch, geht aber zurück. Die müssen da gucken: Was wurden da für Aufwendungen gespart? Was war der genaue Verlust? Um dann eben zu einer neuen Lösung zu kommen. Oder auf dem Verhandlungsweg. Also KiK und der Vermieter müssen sich jetzt einigen. Oder auf Grundlage dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs-. (I: Ich denke, die werden sich einigen.) Ja. Aber das ist natürlich nicht das einzige Verfahren in diesem größeren Kontext. Gerade vergangene Woche gab es eine weitere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu einem verwandten Thema. Da geht es um jemanden, der eine Hochzeit feiern wollte. Und diese Hochzeit nicht feiern konnte, weil die entsprechenden Corona-Regeln das nicht zuließen. Holen Sie uns vielleicht nochmal in diesen Fall rein?
PROF. STEPHAN LORENZ: Das ist ein emotional belastendes Thema für die Beteiligten. Wenn ich es richtig sehe, gibt es noch nicht den vollen Text zu dieser Entscheidung. Es gibt aber die Pressemeldung des Bundesgerichtshof, die sehr ausführlich ist. Es geht um einen Vorfall im März 2020. Eine wichtige Nuance ist hier, dass es so war, dass die Kläger einen Saal gemietet hatten für eine Hochzeitsfeier. Muss man betonen, dass sie nicht mit einem Restaurant vereinbart haben, dass diese dort mit Bewirtung und dergleichen veranstaltet wird. Die hatten nur den Saal gemietet. Die hatten schon lange vorher, im Dezember 2018, standesamtlich geheiratet. Das ist ein nettes Argument, dass man sagt: „Das ist schon so lange her, dann kann es so dringlich nicht gewesen sein.“ Aber wie auch immer, die haben diesen Raum gemietet. Und dann kam wieder eine Infektionsschutzverordnung und da durften sich in geschlossenen Räumen nur zwei Leute treffen. Das reicht natürlich allenfalls für das Brautpaar und die wollen nicht alleine feiern. Da wollten die eben auch ihr Geld zurück haben, es ging um 2.000 Euro. Nun war es so, dass der Vermieter mehrmals andere Termine angeboten hatte. Verstehe ich. Hätte man auch dann oder dann machen können. Die wollten einfach ihr Geld zurück. Die wollten sich darauf nicht einlassen. Vom Eingreifen der Geschäftsgrundlage müsste man hier vielleicht die Abgrenzung zur Unmöglichkeit machen. Wenn man diesen Fall erzählt, denkt man sofort an ein absolutes Fixgeschäft, wenn ich meine Hochzeit an einem bestimmten Tag plane. Da war die Besonderheit aber, die haben nur den Raum gemietet. Vielleicht wollten sie selber ein Buffet aufstellen oder sonst irgendetwas. Wenn das ein Bewirtungsvertrag gewesen wäre, dann wäre dem Wirt auch die Bewirtung zum vereinbarten Datum unmöglich geworden. Dann wäre das ein ganz glatter 275, eins, rechtliche Unmöglichkeit, Wegfall des Gegenleistungsanspruches nach 326, eins. Aber so war es hier nicht. Und jetzt muss man hier zynisch sagen: „In den Raum könnt ihr ja. Ihr dürft da nur nicht feiern.“ Also genau der Fall, die Störung des Verwendungszwecks, knapp unterhalb der Unmöglichkeit. Aber der Verwendungszweck konnte eben nicht mehr erreicht werden. Und jetzt kommt eben wieder Vertragsrisiko und so weiter, das ganze Zeug über das wir gesprochen haben. Und dann kommt die Rechtsfolge und wiederum um die Unzumutbarkeit. Da geht es jetzt darum, war es ihnen denn unzumutbar? Die wollten ja gleich auf 313 weg, also Rücktritt wollten die. Und wir wissen ja, dass der Rücktritt nach 313, zwei, die Ultima Ratio ist. Das ist ja der Witz. Sie haben es vorhin schon angedeutet, … #00:32:03# steht über 313. 313 ist kein Fall, wo man so einfach sagt: „Ich komme aus dem Vertrag raus.“ Sondern zunächst wird angepasst. Und diese Anpassung wäre hier, aus der Pressemitteilung des BGH raus, wohl zumutbar gewesen. Erstens wurde sie angeboten und zwar für viele spätere Termine. Und dann kommt dieser nette Satz, das finde ich witzig, der stand in der Pressemitteilung und wahrscheinlich auch in der Entscheidung, dieses, was ich so persifliere: „Wenn ihr eh schon im Dezember 2018 geheiratet habt und erst 2020 diese Fortsetzungsfeier machen wolltet, dann könnt ihr auch noch ein Jahr warten oder zwei. Und es dann eben dann machen.“ Der BGH sagt dann: „Wenn aus anderen Gründen die Kläger endgültig auf die Hochzeitsfeier hätten verzichten wollen, dann fiele das alleine in ihren Risikobereich.“ Daran sieht man ganz schön, ich wünsche es ihnen nicht, eine früh gescheiterte Ehe durch den Lockdown. Man weiß es ja nicht. Das wäre dann sozusagen im Vertragsrisiko drin. Ich will das nicht persiflieren, aber ich finde es manchmal lustig, wie viel Menschliches so zwischen Zeilen von so Pressemitteilungen tobt. Sehr, sehr klug. Es geht eigentlich nur auf die Rechtsfolgenebene. Er sagt: „Natürlich ist es unzumutbar unverändert an diesem Vertrag festzuhalten. Aber die Änderung ist euch zumutbar. Und da kommt ihr nicht einfach so raus.“ Und es ist in der Tat so, es gibt kaum Fälle von 313, Absatz drei, wo es tatsächlich zu einer Kündigung kommt. Gibt es zurecht selten, weil es eben um die Aufteilung der Risiken geht. Und nicht einfach nur: „Ich will aus dem Vertrag raus.“
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Ja, ich finde diese Gegenüberstellung dieser beiden Konstellationen zeigt sehr schön zum einen wie der 313 funktioniert. Und zum anderen wie der 313 eben nicht funktioniert. Und das ist interessant, dass der Normtext dort sehr knapp ist. Also er sagt ja nur: „So kann Anpassung des Vertrages verlangt werden.“ Und nicht drinsteht, wohin diese Vertragsanpassung geht.
PROF. STEPHAN LORENZ: Sie haben gerade etwas schönes gesagt: „Es ist wichtig, was da nicht drinsteht.“ Es ist in der Tat so. Es gibt Normen im BGB bei denen muss man wissen, was nicht drinsteht. Dazu gehört der 275, zwei und der 313. Die auch vom Wortlaut her so nahe beieinander liegen, dass man sie auch gerne mal verwechselt. Als diese beiden Normen 2002 eingeführt wurden, gab es auch große Verstimmungen in der Literatur, was da jeweils drinsteht. In der Tat, 313 eröffnet keine Fluchtmäßigkeit eines aus anderen Gründen bereuten Vertrages. Und dieser Nebensatz in der Entscheidung: „Falls ihr euch aus anderen Gründen entschieden habt diesen Vertrag nicht eingehen zu wollen, dann ist das euer Vertragsrisiko.“ Ganz klar.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Zum Abschluss des Gesprächs noch eine Frage: Wie würden Sie diese Fälle einordnen ins Verhältnis zu der gesamten Lage des Zivilrechts in der Corona-Pandemie? Würde Sie sagen, es hat gezeigt, dass es ein anpassungsfähiges, sehr flexibles System ist, das auch auf so besondere Lagen reagieren kann? Oder würden Sie Stellen sehen, an die der Gesetzgeber vielleicht nochmal ran muss?
PROF. STEPHAN LORENZ: Ich glaube nicht, dass die Pandemie gezeigt hat, dass wir grundsätzliche Defizite haben. Die man jetzt anlässlich dieser Erfahrungen ändern müsste. Im Gegenteil. Die Probleme der Pandemie sind ja vor allem öffentlich-rechtlicher, gesundheitsrechtlicher Art. Nicht zivilrechtlicher. Aber, dass der Gesetzgeber sehr schnell und zum großen Teil sehr vernünftig reagiert hat mit den Normen, die er da gemacht hat. Da gibt es ja weite Dinge, die gehen bis ins Vereinsrecht rein. Da muss man seine Vereinsversammlungen machen im Gesellschaftsrecht, dass Hauptversammlungen stattfinden, dies digital geht. Den Digitalschub sollte man mitnehmen, klar. Aber das gehört vor allem dann auch ins Gesellschaftsrecht hinein, wenn es um die Art geht wie man Hauptversammlungen macht und dergleichen. Ansonsten wenn man sich mal diese vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie anschaut, die da in diesem Artikel 240, EGBGB, stehen, hat der Gesetzgeber sehr schnell und sehr klug reagiert. Das kann man im Einzelfall anders sehen. Auch die Regelung der Fitness-Studios, was mit Veranstaltungsrecht gemacht wurde, über Gutscheinlösungen und dergleichen. Ich fand das relativ vernünftig. Und ich war erstaunt, wie gut und schnell beide Seiten berücksichtigend der Gesetzgeber da gehandelt hat.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Einen letzten Impuls würde ich gerne noch von Ihnen mitnehmen, wenn ich darf. 313 ist ja für die Bearbeitung in der Klausur nicht immer ganz leicht. Wie schätzen Sie die Examensrelevanz dieses oder eines vergleichbaren Falles ein, der so tief in die 313 und sie saubere Prüfung der Voraussetzungen der Norm einsteigt?
PROF. STEPHAN LORENZ: Examenstipps geben, immer nur ohne Haftung. Also man muss in Examen und Klausurexamen immer aufpassen, dass man nicht so schnell auf den Paragraph 313 hüpft. Es gibt viele Normen, die entweder spezielle Ausdrücke von Paragraph 313 sind. Wie zum Beispiel der 530, Widerruf der Schenkung bei grobem Undank. Oder der 321, BGB. Es gibt auch andere Normen, die so einen ähnlichen Grundgedanken haben. 323, fünf, Satz eins, Gesamtrücktritt etwa. So im Interessefortfall und so. Mein Tipp an Studierende ist, erstmal alles andere abgrasen bevor ich zu 313 gehe. Wissenschaftlich gesagt: Aufpassen auf die Subsidiarität von 313. Ansonsten würde ich 313, er ist … #00:37:40#- fähig. Also ich würde ihn tatsächlich beim Wort nehmen. Man wird nicht drumherum kommen, sich Sprüche zu merken, was nun Geschäftsgrundlage ist. Das ist aber nicht so schwierig. Und dann kann man einfach sagen: „Ist das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar oder nicht?“ Dabei muss man auf die Risikoverteilung gehen. Was manchmal die Frage sein kann sind die Rechtsfolgen. Was ja eigentlich darauf gerichtet ist, dass der Vertrag geändert wird. Das ist ja die Rechtsfolge. Dass man aber auch direkt auf etwas, was einem geschuldet ist, klagen kann. Ja, nicht zu schnell auf 313 hüpfen. Rücktrittsrecht gibt es eben nur unter bestimmten Voraussetzungen. Man muss vor 313 keine Angst haben, man darf ihn nur nicht zu früh anwenden. Und sich aus den Rippen zu schnitzen, was Geschäftsgrundlage ist, gehört möglicherweise zu den wenigen Grundlagen, die man auch mal auswendig lernen muss. Was natürlich bei allen Dingen, die kodifizierte Rechtsprechung sind, wichtig ist, das gilt für die culpa in contrahendo genauso, das ist die German Case Law. Ich würde stark empfehlen, sich da mal die Fallgruppen anzuschauen. Die stehen in jedem Lehrbuch, sicherlich auch bei Jurafuchs. Man muss ein Feeling dafür bekommen, welche Fälle da eigentlich erfasst werden. Und im Examen dürften sie regelmäßig Fälle bekommen, die einer solchen Fallgruppe zuordenbar sind. So war das auch in unserem BGH-Fall. Der ist ganz klar diesem Verwendungszweck Störungen zuzuordnen. Häufig entdeckt man da also bekanntes. Gesetztext lesen, lernen was Geschäftsgrundlage ist. Nicht zu früh anwenden und Case Laws anschauen. Nicht lernen, aber anschauen und ein Gespür dafür bekommen. Das ist wichtig, glaube ich.
DR. CARL-WENDELIN NEUBERT: Super. Vielen Dank, lieber Professor Lorenz, für das einsichtsreiche und engagierte, fröhliche Gespräch.
PROF. STEPHAN LORENZ: Hat sehr viel Spaß gemacht. Vielen Dank, Herr Neubert.
Erwähnte Gerichtsentscheidungen
Das Urteil des BGH vom 12.01.2022 im Original findet ihr hier. Die Besprechung des Urteils vom 12.01.2022 in der Jurafuchs App findet ihr hier.
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